Monday, January 9, 2012

ein neuer Frühling

Der gefühlte September ist in einen gefühlten Mai übergegangen: Auf den Parkplätzen zeigt das Savannengras hellgrüne Spitzen, in den Straßen raufen die Katzen, und neben dem Clubhaus hat eine Mannschaft gemächlicher Gärtner in wochenlanger Kleinarbeit die steinharte Staubkruste aufgekratzt. Jetzt werden rankende Blumenstöcke gepflanzt, Muttererde aufgetragen, weiße Kieselsteine verlegt. In der Stadt wachsen zwei neue Einkaufszentren, eins davon in Gestalt einer katarischen Burg, wie man sie in Natura nirgends so schön zu Gesicht bekommt. Wir sehen uns die Pläne für das zukünftige Stadtzentrum an und staunen: Schattige Arkaden aus durchbrochenem Marmor, segeltuch-überdachte Passagen, in denen ausgewachsene Linden blühen, künstliche Wasserläufe und eine lautlos dahinschwebende Straßenbahn, die "die U-Bahn Station mit dem Souq verbindet." Auf dem Foto daneben: Doha im Jahre 1956, ein versandetes Fischerdorf, das gerade seinen ersten Stromanschluss feiert.

Monday, December 26, 2011

auf der dunklen Seite

Basak und Sefik wollen ein Zimmermädchen einstellen, das ein paar Stunden pro Woche auf ihren Sohn aufpasst und im Haushalt hilft. In der Agentur angekommen, packt eine junge philippinische Frau in Windeseile ihre zwei Tüten Habseligkeiten zusammen und flieht zu dem türkischen Pärchen ins Auto. Schneller, als die zwei  sich versehen, haben sie eine illegale Mitbewohnerin. Maria, so heißt sie, hat Schlimmes erlebt und wacht nachts schreiend auf. Über Vergangenes spricht sie nicht, will aber um nichts in der Welt in einen arabischen Haushalt zurück. Den Pass hat die Agentur behalten. Geduckt schleicht sie durch die Wohnung. Zwei Wochen später sehen wir sie zum ersten Mal lächeln.

VIP Studentinnen

Morgens sechs Uhr auf der Autobahn Richtung Qatar University, Arabisch vom Band; es werden nützliche Dialoge vorgesprochen: "Was ist das? - Das ist eine Uhr! - Ist das eine goldene Uhr? - Ja, das ist meine goldene Uhr!" Wahrscheinlich sehen so neunzig Prozent der Unterhaltungen unter katarischen Frauen aus. Ich überlege, ob ich meine Sprachkenntnisse anwenden und nach den Gucci- Handtaschen und Prada- Schuhen der Damen am Kaffeestand fragen soll, werde dann aber auf die Frage, ob dies das Ende der Schlange sei, nur irritiert angeschaut. Wer bitteschön wartet denn freiwillig, bis andere ihren Tee bestellt haben, wenn man zur Staatsbürgerklasse "A" gehört, also seine Herkunft direkt zur Gründerfamilie des Landes zurückverfolgen kann?! Die betuchten VIP- Studentinnen tragen elegant geschnittene Abayas zu kreischend bunten Pfennigabsätzen, dazu dunkle Brillen in fensterlosen Unigebäuden. Beim Klassenausflug weigern sie sich ein öffentliches Verkehrsmittel zu betreten und folgen dem Unibus im Cabrio Marke Cadillac, beanspruchen dabei zwei Fahrbahnen für sich; denn schwer ist es in einer Spur zu fahren, wenn man zwei Iphones parallel bedient...

Wednesday, November 30, 2011

Heimweh sitzt im Magen


Neuerdings wird mir meine deutsche Identität von ganz unerwarteter Seite klargemacht: Mein Magen bestreikt ganz unmissverständlich die arabischen und indischen Curry- und Fischgerichte. Sogar um meinen geliebten Hommus, die leckeren Knoblauch-Auberginendips, Oliven und eingelegte Weinblätter muss ich einen Bogen machen. An den Kardamon- und Muskatbergen im Supermarkt halte ich mir die Nase zu, suche stattdessen verzweifelt nach Dill und Bohnenkraut. Vor dem Einschlafen träume ich von Omas grüne-Bohnen-Eintopf, von frischen Waldpilzen in Gulaschsoße, von Kartoffelklößen mit Rot- und Grünkohl, von Hühnerfrikassee und Königsberger Klopsen. Mir fällt auf, dass es in Doha zwar jede Menge indischer, türkischer, thailändischer, philippinischer, japanischer, chinesischer, sogar vietnamesischer und amerikanischer Restaurants gibt; aber nirgends einen Platz den Heißhunger auf Kartoffelsuppe zu stillen! Das ist eine Marktlücke, die ich sofort für mich beanspruchen würde, hätte ich auch nur einen Ansatz von Kochkünsten. Ich ertappe mich dabei, wie ich Rezepte für schwäbische Hefebrezeln abschreibe und bei Hausfrauengesprächen über Lauchtorte und Speckbohnen die Ohren spitze. Wenn der nächtliche Appetit ganz groß wird, schleiche ich mich zum Kühlschrank, aus dem mir ein schnödes Fladenbrot nebst Halloumi- Käse zuwinkt: Schnell zumachen.



Tuesday, November 29, 2011

ein deutscher Advent

"Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!" Die deutsche Gemeinde veranstaltet einen Adventsbasar und hat zum Weihnachtsoratorium von Bach geladen. An diesem Nachmittag platzt die kleine Schule aus allen Nähten: Zwar gehen sich Deutsche im Ausland eher aus dem Weg, wenn es aber um zünftige Weihnachtsemütlichkeit geht, rückt man eng um die Adventskränze zusammen. Einen besonderen Zauber haben die Vorbereitungen auf das Fest hier, wo außerhalb der deutschen Räumlichkeiten nichts auf die Weihnachtszeit hinweist, und wo man in den Läden allerhöchstens den auf europäischen Grabbeltischen liegengebliebenen Nippes vom letzten Jahr kaufen kann. Während eine deutsche Weihnachtsfeier in den USA am Ende immer nur auf ein amerikanisches x-mas hinausläuft, hat man hier selbstgebastelt und improvisiert, aus Deutschland eingeschmuggelt oder sündhaft teuer eingekauft. Die Stimmung ist feierlich, der Stollen echt, Räuchermännchen rauchen indisches Sandelholz, und grüne Bastgirlanden simulieren Tannengrün.
Das winzige Kammerorchester beginnt, ein energetischer Dirigent schlägt dazu den Takt, und der kleine Chor setzt erstaunlich kräftig ein. Die Sänger wissen, im Radius von zweitausend Meilen müssen sie das deutscheste aller Feste hochhalten. Ihr Konzert schlägt ein wie eine Kulturbombe in der Wüste, umstanden von den bunten Familien der Auswanderer, die ihre afrikanischen, singapurischen, arabischen und türkischen Freunde mitgebracht haben. Die indischen Putzer haben ihre Besen weggestellt und lauschen andächtig, und auf einmal wird mir klar, warum Schlingensief ein Operndorf in Burkina Faso baut, und warum Fitzcarraldo seinen Caruso in den Amazonas schifft: Die Musik ist bestechend friedlich und verbreitet Hoffnung in dieser staubigen Gegend.
Nach tosendem Applaus ist die Stimmung so gelöst, dass ich mich dazu hinreißen lasse, den kleinen Geschäftsleuten an ihren Bastelständen ein paar überteuerte Papiersterne und windschiefe Kerzenständer abzukaufen. Die kleinen Handwerker zählen ihre Scheine und grinsen: "Frohes Fest!"

Wednesday, November 23, 2011

Al Khor

Einen friedlichen Feiertagsspaziergang macht man besser in der kleinen Hafenstadt Al Khor, als im chronisch überfüllten Doha, wo am Freitagnachmittag alle zugleich zur Corniche oder auf den Souk strömen. Al Khor im Norden von Qatar hat im Stadtzentrum eine große weiße Moschee, blinkende Elektronikgeschäfte, fettige indische Kantinen, einen von Arbeitern belagerten Busbahnhof und ein paar zertetene Grünanlagen. Man kann das Auto abstellen und vom Stadtzentrum bis an die Strandpromenade spazieren.
Das haben an diesem freien Tag auch ungefähr eine Million Inder aus den umliegenden Arbeitersiedlungen vor. Trotzdem ist die Stimmung friedlich und faul: Man sitzt auf warmem Beton und schaut auf die friedliche See, hinter deren diesigem Horizont man irgendwo zu Hause ist. Jeder zweite hat sich einen Bindfaden ums Handgelenk gewickelt. Das andere Ende mit einem Stein beschwert und ins Wasser gehängt, versucht er auf diese Weise an ein freies Abendbrot zu kommen. Am Hafenbecken, wo hölzerne Dhows, die traditionellen arabischen Segelboote liegen, werden drahtige Körbe für den Fischfang geflickt und Planken geschrubbt, wird Wäsche getrocknet, vor allem aber auf der Kaimauer gehockt und geschaut: jedes anlegende Dhow, jeder vorbeirauschende Katari im Sportboot ist eine willkommene Attraktion. An das ständige unverwandte Anstarren habe ich mich mittlerweile gewöhnt, so dass es kaum noch stört, wenn auch ich zu den Freitagnachmittagsattraktionen zähle. Im Restaurant "Perle von Beirut," das arabische und indische Küche verspricht, bekommen wir leckere philippinische Fischgerichte und alkoholfreies bayrisches Bier. Von irgendwoher dudelt ein Bollywoodlied, die Schatten werden lang und die arabische Nacht bricht an.

Fitness im Islam

Zwischen den fettigen Auslagen von McDonalds und Pizza Hut haben wir eine Brochüre mit dem Titel "Fitness im Islam" gefunden. Darin wird erklärt, dass selbst der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm,  nichts gegen sportliche Betätigung hatte: Jegliche Tätigkeit ohne den Gedanken an Allah sei allerdings entweder bloße Ablenkung, oder Nachlässigkeit, ausgenommen vier Arten von Aktivitäten: von einem Ziel zum nächsten gehen (beim Bogenschießen), ein Pferd trainieren, mit den Kindern spielen, und Schwimmen lernen. Bei diesem spärlichen Angebot erlaubter Sportarten wird man wohl das Diabetisproblem im Land so schnell nicht los. Die Zuckerkrankheit grassiert auch unter Kindern, mit denen es Mütter und Nannies zu gut meinen. Al Jazeera stellt in Aussicht, dass in zehn Jahren zwanzig Prozent der Bevölkerung erkrankt sein könnten, wenn man die derzeitige Lebensweise beibehält. Fasten und fette Feste, Fastfoodbegeisterung und religiös bedingter Bewegungsmangel vertragen sich halt nicht so gut. Besonders um die Eid-Zeiten sind Magenkrankheiten und Übergewicht in den Schlagzeilen.
Kein Problem mit Übergewicht haben die Tausenden zierlicher Arbeitsinder: in Scharen umstehen sie den Protein-Stand im Einkaufszentrum, wo ihnen ein philippinischer Meister Proper die Wirkungsweise von Anabolika erklärt. Die Inder machen große Augen und staunen wie Dorfkinder im Mittelalter über den Wunderheiler. Der Verkäufer bringt als lebendiger Beweis für die magische Wirkung seiner Mittelchen ungefähr so viel auf die Waage, wie drei von ihnen.