Monday, December 26, 2011

auf der dunklen Seite

Basak und Sefik wollen ein Zimmermädchen einstellen, das ein paar Stunden pro Woche auf ihren Sohn aufpasst und im Haushalt hilft. In der Agentur angekommen, packt eine junge philippinische Frau in Windeseile ihre zwei Tüten Habseligkeiten zusammen und flieht zu dem türkischen Pärchen ins Auto. Schneller, als die zwei  sich versehen, haben sie eine illegale Mitbewohnerin. Maria, so heißt sie, hat Schlimmes erlebt und wacht nachts schreiend auf. Über Vergangenes spricht sie nicht, will aber um nichts in der Welt in einen arabischen Haushalt zurück. Den Pass hat die Agentur behalten. Geduckt schleicht sie durch die Wohnung. Zwei Wochen später sehen wir sie zum ersten Mal lächeln.

VIP Studentinnen

Morgens sechs Uhr auf der Autobahn Richtung Qatar University, Arabisch vom Band; es werden nützliche Dialoge vorgesprochen: "Was ist das? - Das ist eine Uhr! - Ist das eine goldene Uhr? - Ja, das ist meine goldene Uhr!" Wahrscheinlich sehen so neunzig Prozent der Unterhaltungen unter katarischen Frauen aus. Ich überlege, ob ich meine Sprachkenntnisse anwenden und nach den Gucci- Handtaschen und Prada- Schuhen der Damen am Kaffeestand fragen soll, werde dann aber auf die Frage, ob dies das Ende der Schlange sei, nur irritiert angeschaut. Wer bitteschön wartet denn freiwillig, bis andere ihren Tee bestellt haben, wenn man zur Staatsbürgerklasse "A" gehört, also seine Herkunft direkt zur Gründerfamilie des Landes zurückverfolgen kann?! Die betuchten VIP- Studentinnen tragen elegant geschnittene Abayas zu kreischend bunten Pfennigabsätzen, dazu dunkle Brillen in fensterlosen Unigebäuden. Beim Klassenausflug weigern sie sich ein öffentliches Verkehrsmittel zu betreten und folgen dem Unibus im Cabrio Marke Cadillac, beanspruchen dabei zwei Fahrbahnen für sich; denn schwer ist es in einer Spur zu fahren, wenn man zwei Iphones parallel bedient...

Wednesday, November 30, 2011

Heimweh sitzt im Magen


Neuerdings wird mir meine deutsche Identität von ganz unerwarteter Seite klargemacht: Mein Magen bestreikt ganz unmissverständlich die arabischen und indischen Curry- und Fischgerichte. Sogar um meinen geliebten Hommus, die leckeren Knoblauch-Auberginendips, Oliven und eingelegte Weinblätter muss ich einen Bogen machen. An den Kardamon- und Muskatbergen im Supermarkt halte ich mir die Nase zu, suche stattdessen verzweifelt nach Dill und Bohnenkraut. Vor dem Einschlafen träume ich von Omas grüne-Bohnen-Eintopf, von frischen Waldpilzen in Gulaschsoße, von Kartoffelklößen mit Rot- und Grünkohl, von Hühnerfrikassee und Königsberger Klopsen. Mir fällt auf, dass es in Doha zwar jede Menge indischer, türkischer, thailändischer, philippinischer, japanischer, chinesischer, sogar vietnamesischer und amerikanischer Restaurants gibt; aber nirgends einen Platz den Heißhunger auf Kartoffelsuppe zu stillen! Das ist eine Marktlücke, die ich sofort für mich beanspruchen würde, hätte ich auch nur einen Ansatz von Kochkünsten. Ich ertappe mich dabei, wie ich Rezepte für schwäbische Hefebrezeln abschreibe und bei Hausfrauengesprächen über Lauchtorte und Speckbohnen die Ohren spitze. Wenn der nächtliche Appetit ganz groß wird, schleiche ich mich zum Kühlschrank, aus dem mir ein schnödes Fladenbrot nebst Halloumi- Käse zuwinkt: Schnell zumachen.



Tuesday, November 29, 2011

ein deutscher Advent

"Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!" Die deutsche Gemeinde veranstaltet einen Adventsbasar und hat zum Weihnachtsoratorium von Bach geladen. An diesem Nachmittag platzt die kleine Schule aus allen Nähten: Zwar gehen sich Deutsche im Ausland eher aus dem Weg, wenn es aber um zünftige Weihnachtsemütlichkeit geht, rückt man eng um die Adventskränze zusammen. Einen besonderen Zauber haben die Vorbereitungen auf das Fest hier, wo außerhalb der deutschen Räumlichkeiten nichts auf die Weihnachtszeit hinweist, und wo man in den Läden allerhöchstens den auf europäischen Grabbeltischen liegengebliebenen Nippes vom letzten Jahr kaufen kann. Während eine deutsche Weihnachtsfeier in den USA am Ende immer nur auf ein amerikanisches x-mas hinausläuft, hat man hier selbstgebastelt und improvisiert, aus Deutschland eingeschmuggelt oder sündhaft teuer eingekauft. Die Stimmung ist feierlich, der Stollen echt, Räuchermännchen rauchen indisches Sandelholz, und grüne Bastgirlanden simulieren Tannengrün.
Das winzige Kammerorchester beginnt, ein energetischer Dirigent schlägt dazu den Takt, und der kleine Chor setzt erstaunlich kräftig ein. Die Sänger wissen, im Radius von zweitausend Meilen müssen sie das deutscheste aller Feste hochhalten. Ihr Konzert schlägt ein wie eine Kulturbombe in der Wüste, umstanden von den bunten Familien der Auswanderer, die ihre afrikanischen, singapurischen, arabischen und türkischen Freunde mitgebracht haben. Die indischen Putzer haben ihre Besen weggestellt und lauschen andächtig, und auf einmal wird mir klar, warum Schlingensief ein Operndorf in Burkina Faso baut, und warum Fitzcarraldo seinen Caruso in den Amazonas schifft: Die Musik ist bestechend friedlich und verbreitet Hoffnung in dieser staubigen Gegend.
Nach tosendem Applaus ist die Stimmung so gelöst, dass ich mich dazu hinreißen lasse, den kleinen Geschäftsleuten an ihren Bastelständen ein paar überteuerte Papiersterne und windschiefe Kerzenständer abzukaufen. Die kleinen Handwerker zählen ihre Scheine und grinsen: "Frohes Fest!"

Wednesday, November 23, 2011

Al Khor

Einen friedlichen Feiertagsspaziergang macht man besser in der kleinen Hafenstadt Al Khor, als im chronisch überfüllten Doha, wo am Freitagnachmittag alle zugleich zur Corniche oder auf den Souk strömen. Al Khor im Norden von Qatar hat im Stadtzentrum eine große weiße Moschee, blinkende Elektronikgeschäfte, fettige indische Kantinen, einen von Arbeitern belagerten Busbahnhof und ein paar zertetene Grünanlagen. Man kann das Auto abstellen und vom Stadtzentrum bis an die Strandpromenade spazieren.
Das haben an diesem freien Tag auch ungefähr eine Million Inder aus den umliegenden Arbeitersiedlungen vor. Trotzdem ist die Stimmung friedlich und faul: Man sitzt auf warmem Beton und schaut auf die friedliche See, hinter deren diesigem Horizont man irgendwo zu Hause ist. Jeder zweite hat sich einen Bindfaden ums Handgelenk gewickelt. Das andere Ende mit einem Stein beschwert und ins Wasser gehängt, versucht er auf diese Weise an ein freies Abendbrot zu kommen. Am Hafenbecken, wo hölzerne Dhows, die traditionellen arabischen Segelboote liegen, werden drahtige Körbe für den Fischfang geflickt und Planken geschrubbt, wird Wäsche getrocknet, vor allem aber auf der Kaimauer gehockt und geschaut: jedes anlegende Dhow, jeder vorbeirauschende Katari im Sportboot ist eine willkommene Attraktion. An das ständige unverwandte Anstarren habe ich mich mittlerweile gewöhnt, so dass es kaum noch stört, wenn auch ich zu den Freitagnachmittagsattraktionen zähle. Im Restaurant "Perle von Beirut," das arabische und indische Küche verspricht, bekommen wir leckere philippinische Fischgerichte und alkoholfreies bayrisches Bier. Von irgendwoher dudelt ein Bollywoodlied, die Schatten werden lang und die arabische Nacht bricht an.

Fitness im Islam

Zwischen den fettigen Auslagen von McDonalds und Pizza Hut haben wir eine Brochüre mit dem Titel "Fitness im Islam" gefunden. Darin wird erklärt, dass selbst der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm,  nichts gegen sportliche Betätigung hatte: Jegliche Tätigkeit ohne den Gedanken an Allah sei allerdings entweder bloße Ablenkung, oder Nachlässigkeit, ausgenommen vier Arten von Aktivitäten: von einem Ziel zum nächsten gehen (beim Bogenschießen), ein Pferd trainieren, mit den Kindern spielen, und Schwimmen lernen. Bei diesem spärlichen Angebot erlaubter Sportarten wird man wohl das Diabetisproblem im Land so schnell nicht los. Die Zuckerkrankheit grassiert auch unter Kindern, mit denen es Mütter und Nannies zu gut meinen. Al Jazeera stellt in Aussicht, dass in zehn Jahren zwanzig Prozent der Bevölkerung erkrankt sein könnten, wenn man die derzeitige Lebensweise beibehält. Fasten und fette Feste, Fastfoodbegeisterung und religiös bedingter Bewegungsmangel vertragen sich halt nicht so gut. Besonders um die Eid-Zeiten sind Magenkrankheiten und Übergewicht in den Schlagzeilen.
Kein Problem mit Übergewicht haben die Tausenden zierlicher Arbeitsinder: in Scharen umstehen sie den Protein-Stand im Einkaufszentrum, wo ihnen ein philippinischer Meister Proper die Wirkungsweise von Anabolika erklärt. Die Inder machen große Augen und staunen wie Dorfkinder im Mittelalter über den Wunderheiler. Der Verkäufer bringt als lebendiger Beweis für die magische Wirkung seiner Mittelchen ungefähr so viel auf die Waage, wie drei von ihnen.

Wednesday, November 9, 2011

Herbsttag

Das Licht fällt härter dieser Tage; die Schatten werden lang und dürr. Das Kinderspiel in den Straßen wird müde, und Ruhe zieht ein in den Wohnkomplex. Einsam taumelt Bonbonpapier über die Parkflächen: der Herbst ist da.
Bei 21 Grad werden die dicken Parkas aus den Schränken geholt, ein Filipino fährt mit Pudelmütze Fahrrad. Gegen die kühle Luft hat er sich einen Wollschal umgebunden. Der Anblick ist so faszinierend, dass ich in meiner zögerlichen Kurve zum Stehen komme. Da fällt der ganze sorgfältig eingepackte Mann in Zeitlupe über mein Heck... Als ich die Tür öffne, sprechen wir simultan: er fragt nach meinem Auto, ich nach seiner Gesundheit. Letzterer kann das Wetter nichts mehr anhaben, wohl aber eine neugierige Frau am Steuer.

Gastarbeiter Westbay

Westbay Lagoon ist ein Nobelbezirk für reiche Ausländer, der sich, an den Rändern noch Baustelle, ständig ausweitet. Manchmal hat auch ein Privatdozent die Chance einen Blick hinter die hohen Mauern zu werfen: Erfürchtig betritt man, die Grammatiktabellen unter dem Arm, die geräumigen Hallen voller Antiquitäten aus Indonesien und Singapur. Das schwere Mobiliar in der Empfangshalle ist viel zu groß für unser Anfängerdeutsch, die Weihbecken und der lackierte Holzaltar passen nicht so recht zur kommunikativen Methode: Einkauf bei Bäcker Mosel. Marmorstufen führen zum Wasser der Bucht hinunter, privater Bootsanleger.Dimitrias Tagesablauf in der Perfektform: Heute hat sie ihr Fitnessprogramm vernachlässigt und stattdessen über japanische Kunst gelesen. Sie ist weißbehandschuht in ihren Ferrari-Kombi gestiegen und in die Stadt gefahren. Schließlich hat sie am Straßenrand neben der Baustelle Messegelände die Deutschlehrerin eingesammelt...

Tuesday, November 8, 2011

Nausha

Nausha ist auf den halsbrecherischen Straßen der Stadt zu Hause. Lässig lehnt er sich zurück und navigiert durch den Pendlerstrom wie ein erfahrener Seemann. Aus bescheidener Eitelkeit hat er ein künstliches Schafsfell auf das Armaturenbrett geklebt; das verleiht ihm eine ärmliche Noblesse, über die ich mich jedes Mal lustig mache. Wieder einmal hat uns der Zufall am Taxistand zusammengebracht; ich streiche über das struppige Fell und freue mich über den Möchtegern-Macho, der breit grinst, über mich, über sich selbst, und über das Begrüßungsritual. In der nächsten halben Stunde muss er mir so viel Hindi beibringen, wie möglich, denn mit Englisch und Arabisch stoßen wir schnell auf Grenzen, obwohl er stolz von sich behauptet: "Arabic, Enlish... no problem!"
Nausha lacht wie über einen guten Witz und erzählt von Kerala, wohin er alle paar Monate zurück zu seiner Familie reist. Nebenbei rammen wir beinahe fünf Fahrzeuge, an denen wir uns eng vorbeidrücken. Säße ich im Wagen nebenan, mir würde kurz das Herz stocken, aber von Naushas Frontscheibe aus sieht es noch haarsträubender aus: Mein Fahrer schlägt souveräne Breschen in den Verkehrsfluss und erzählt stolz, dass er noch nie einen Unfall hatte! Kleinlaut weise ich ihn auf den Wagen in der Nebenspur hin, als er im Begriff ist die Spur zu wechseln: "Kein Problem, alles unter Kontrolle!" - und wieder schaffen wir es wie durch ein Wunder unfallfrei aus dem Kreisverkehr.
Mitten im brüllenden Nachmittagsstau der Salwa Road sind wir am Ziel, und so schnell wir uns gefunden haben, so schnell verlieren wir uns wieder aus den Augen: "Tumjaate?" - "Amjaate."- Ich gehe, und weiß nicht, ob ich irgendwann wieder hinter Naushas Schafsfell zum Sitzen komme, oder ob der Straßenrebell dann schon längst wieder in Südindien ist. Die Fahrt kostet so viel, wie ich geben will; und Kerala soll ich besuchen, im Frühling!

Friday, November 4, 2011

Geisterstunde

Halloween ist hier eigentlich als Geisterbeschwörung und Verherrlichung westlicher Werte verpönt. Es passt auch nicht so recht zum beständigen Sonnenschein und den fehlenden Herbstnebeln. Nicht einmal die Amerikaner feiern Kostümparties, und glimmende Kürbisfratzen gibt es höchstens in den englischsprachigen Zeitschriften. An der amerikanischen Uni hat eine heimwehe Bibliotheksdame einen einsamen Kürbis in den Schaukasten gestellt. Trotzdem liegt so etwas wie Herbst in der Luft. Meine Deutschkinder nennen es "Weihnachtsduft" und sprechen davon, dass bald der erste Advent kommt.
Wahrscheinlich liegen in Deutschland bereits Schokoladenweihnachtsmänner und Marzipankartoffeln in den Auslagen; hier gehen wir erst einmal zum Schafe- und Kamele-Schlachten in den Eid al Adha, wo sich das Land für eine Woche leert. Wer kann, besucht seine Verwandten in Ägypten, Jordanien, Palästina. Aus den Zeitungen blicken der Emir und sein Kronprinz, umrahmt von Blumenranken: Carrefour wünscht ihnen gesegnete Feiertage, im Kleingedruckten wird auch die Bevölkerung beglückwünscht. Immer öfter sieht man Ziegenböcke mit geschwungenen Hörnern und zottigem Fell auf den Ladeflächen der Pickups und in den Kofferräumen der Kombis.
Ferienstimmung auch in der deutschen Schule: die Kinder fahren zum Wüstencamping und Dünenrodeln. Der Deutschunterricht wird zur Geisterstunde; wir sprechen über ein gruseliges Fest der Katholiken, das manchen deutschen Kindern einen freien Tag beschert: Allerheiligen. Angeblich werden da die Toten auf dem Friedhof besucht. Das macht Eindruck bei den Zwölfjährigen. Als die Tür knarrt und die Klimaanlage aussetzt, brüllt der dicke Stefan: "Ein Geist!!" und alles fängt an zu kreischen. Ich hätte nie gedacht, dass Wilhelm Hauff den Computerkids so viel Schrecken einjagen kann: Nachdem die Hexe im Zwerg Nase einen Menschenkopf aus ihrem Einkaufskorb zieht, ist die Klasse endgültig aus dem Häuschen.

Tuesday, November 1, 2011

Schwimmen lernen

Das Leben geht seinen Gang und wir gehen mit, atmen den Puls der Stadt, schwimmen mit den Wogen der Pendler morgens, mittags, abends. Hinter dunklen Brillen und automatisch versiegelten Scheiben treiben wir mit der Strömung wie in einer Wasserblase, Rockmusik in den Ohren, den Dunst der erwachenden Stadt im Blick. Immer ruhig Blut, und nicht ausweichen vor aggressiven Hausfrauenpanzern und zerstreuten Busfahrern in ihren zerbeulten Karosserien. Sich nicht einschüchtern lassen von dröhnenden Ferraris und Maseratis - lichthupend zurückzwinkern. Zwischen Schwertransportern im Kreisverkehr den Herzschlag zählen, höflich drängeln. Lass die Straßenkehrer dein Auto putzen, sei geduldig und übersehe nicht die Gärtner in den Palmen, Fahrräder mit Kartoffelsäcken auf dem Seitenstreifen, kreuzende Fußgänger, an die die Stadtplaner nicht gedacht haben.

Saturday, October 22, 2011

Goldsucher

Bimal ist einer der tausenden Hilfskräfte, Aufpasser, Kaffeekellner, Entstauber, Bademeister, Gartenpfleger, Wasserträger und Aufräumer, die das Leben in Doha angenehm machen, und die rund ein Zehntel von dem verdienen, was qualifizierte Arbeitskräfte bekommen, ganz zu schweigen von Kataris mit ihrer eigenen Lohnklasse. Trotzdem strahlt der Nepalese ein breites Lächeln von einem Ohr zum anderen. Seit acht Jahren ist der junge Mann hier und opfert seine beste Zeit dem Wüstenstaat, damit seine Familie daheim überleben kann. "So sehr arm" seien die Eltern, teilt er in seinem verdrehten blumigen Englisch mit und zeigt stolz die zerfledderten Fotos, die  er immer im Portemonnaie hat: Auf dem ersten Bild ein junger Dschungelbursche. Das Bild hat keinerlei Ähnlichkeit mit Bimals jetziger Erscheinung. Vielleicht trägt er deshalb sein eigenes Bild auf der Brust, um ein kleines Stückchen Selbst über die Zeit in der Fremde zu retten. Von einem anderen Foto grinsen zwei identische  Guerillas mit Tarnanzügen und Maschinengewehren in die Kamera: Feierlich verweist Bimal auf seine Zeit in der Armee zusammen mit seinem Zwillingsbruder.
Seit ich mit ihm hier und da ein paar Worte austausche, steht für den Nepalesen fest, dass er nach Deutschland auswandern wird, in ein Land, von dem er keinen blassen Schimmer hat. Einmal fragt er mich, welches Englisch man eigentlich in Deutschland spreche: das Britische oder das Amerikanische? Für ihn sind die reichen westlichen Länder entweder vergangene oder moderne Kolonialmächte, und eben anglophon. Im Gegenzug für die Dschungelfotos zeige ich Bilder aus Berlin. Beim Botanischen Garten fragt Bimal, ob das der Dschungel sei... --- Junge, für den Einbürgerungstest müssen wir da noch ein paar winzige Wissenslücken füllen!

Hollywood am Golf

Immer wieder eine Milieustudie wert: Hollywoodfilme vor katarischem Publikum. Es läuft ein schrecklich schlechter Streifen über einen verschwiegenen Autofreak, der innerlich ein ganz wertvoller Mensch ist und eine zaghafte romantische Beziehung zu seiner schönen, alleinerziehenden Nachbarin anfängt. Ganz problematisch erst einmal die Figur der starken, geschiedenen Frau: Ein Raunen geht durch den Saal, als diese ihrem kriminellen Ex, der auch noch verdächtig arabisch aussieht, eine Ohrfeige gibt. Einige Weißgekleidete verlassen den Raum. Hysterisches Lachen in Szenen, in denen für den Bruchteil einer Sekunde ein Stinkefinger auftaucht. In fast-Kussszenen und langen Nahaufnahmen, in denen sich der Held und seine Angebetete in die Augen blicken, wird gepfiffen oder laut gelacht. Gesprochene Kommentare begleiten die gesamte Vorstellung, sowohl am Handy, als auch mit den Sitznachbarn. Noch bevor die letzte Szene zu Ende geht, herrscht allgemeine Aufbruchstimmung. Zuletzt sitze ich allein im Kino. Naja, es war wirklich ein schlechter Film. Nach welchen Kriterien der Zensor wohl entschieden hat, dass ausgerechnet dieser Streifen in die Kinos kommt?!

in den Bergen am Meer

Allein schon für den milchigen Sonnenuntergang in den Dünen zieht es uns wochenends an die Strände außerhalb der Stadt. Jetzt, da sich die Temperaturen knapp unter der 30 Grad Marke halten, brummen von überall her die Motoren der Allradfahrzeuge, mit denen ganze Familien, schwarzverschleierte Frauen, und natürlich Touristen und Expats die Berge erklettern. Man spricht tatsächlich vom "Wochenende in den Bergen," als würde es irgendwo in Qatar Gebirge und Steinmassiv geben. Auch das Meer ist kein richtiges "Meer:" Im Gegensatz zur Nord- oder Ostsee hat man am arabischen Golf nie das Gefühl von Weite und Erhabenheit, von Aufbruch und Fernweh, vielleicht wegen der fehlenden Wellen und Möwen, vielleicht auch, weil der Horizont so diesig und nah ist. Die Küste ist wie eine Erweiterung des großen Sandkastens, ein Spielplatz für Wasserfahrzeuge aller Art.

Friday, October 14, 2011

Warten aufs Telefon

Qtel wurde letztens zum "besten Kommunikationsdienstleister Qatars" gekürt und mit einem großen Pokal ausgezeichnet, der in allen Zeitungen glänzte. Kunststück, es gibt ja nur zwei Internetfirmen, und die Konkurrenz ist nicht katarisch. Jedenfalls kann die Ehrung nichts mit Kundenservice zu tun haben:
Am Montag Morgen sollte unser Anschluss installiert werden. Einer musste zu Hause bleiben und auf den Techniker warten. Dieser ließ sich bis Mittag nicht blicken, so dass ich am Nachmittag das Telefon in die Hand nahm und mit einer freundlichen Callcenter Dame sprach, die mir versicherte, er werde, InshAllah, noch vor Feierabend kommen. Natürlich passierte nichts, unser Termin wurde auf acht Uhr am nächsten Morgen verschoben. Dienstag Abend dann ein Anruf, der Techniker sei unterwegs, wir müssten uns in zehn Minuten bereithalten. Wir düsen nach Hause und warten - nichts. Es ist nach fünf und der Feierabend in greifbarer Nähe; am Telefon erklärt der Handwerker in absichtlich schlechtem Englisch, er könne unseren Wohnkomplex nicht finden. Das kommt in einer Stadt ohne Adressen natürlich vor. Komisch nur, dass alle unsere Nachbarn Anschlüsse von Qtel haben! In Aussicht auf einen dritten Tag des Wartens auf diesen gefragten Mann bieten wir an, ihn von der nächsten Tankstelle abzuholen. - Einmal sichergestellt und in unsere Wohnung verfrachtet lassen wir ihn loswerkeln; zehn Minuten später die untröstliche Neuigkeit: "technische Probleme!" - er muss leider morgen wiederkommen. Ob nun das Netzwerk entknotet oder die Wellenlängen geglättet werden müssen ist schwer zu sagen. Wir können nichts gegen das Urteil des Spezialisten sagen und entlassen ihn schweren Herzens.
Am Mittwoch passiert nichts, und als wir abends wieder mit der Frau vom Callcenter sprechen, haben wir einen neuen Termin für nächste Woche -- InshAllah...

Rache ist süß

Moment der süßen Rache an der Umzugsfirma, die uns, ähnlich wie Qtel, wochenlang hat warten und fiktive Dokumente einreichen lassen, die Lieferung immer wieder um Tage verzögernd: Sie haben vergessen unsere Zollgebühren abzukassieren! Hehe: "Leider können wir die Zahlung im Moment nicht leisten, da die Rechnung bereits von der Universität abgewickelt wurde. In diesem Fall brauchen wir folgende Originaldokumente mit dem Stempel des Zollamtes... Nein, abholen können wir die Papiere leider nicht. Sie müssen schon einen Kurierdienst schicken... Wann wir dann bezahlen? - Na nächste Woche -- InshAllah!

Himmelserscheinung

Schwer liegt ein bleierner Himmel auf der Stadt. Zum ersten Mal Muster im Blau: dicke Wolken; die Sonnencreme kann zu Hause bleiben! Das Thermometer klettert auf dreißig Grad; die fühlen sich an wie vierzig in der feuchten Luft. Alles klebt und gähnt und schleppt sich durch den Donnerstag: Morgen ist frei; da dudeln die Radios und scheppert Geschirr in den Küchen. Faule Katzen auf staubigen Motorhauben, surrende Klimaanlagen und pfeifende Arbeiter.
 Irgendwann spätnachmittags durchbricht ein Klopfen die lähmende Ruhe. Es klopft nocheinmal, und noch - binnen fünf Sekunden trommelt es laut aufs Dach: Wasser! Senkrecht vom Himmel! Kinder auf der Straße machen Luftsprünge, versuchen Tropfen zu fangen. Staub auf den Autos wird matschig und braun. Neugierige versammeln sich in den Eingängen. Es regnet! Zum ersten Mal verstehe ich das Arabisch der Nachbarn - und sie verstehen mich! Mein Sprachkurs zahlt sich auf subtile Weise aus. Fünf Minuten später ist alles vorbei und Gesprächsstoff für die nächsten Tage. Die Käseglocke aus Milchglas, die sich bis jetzt über den Tag stülpte, lüftet sich; Bewegung kommt in die Menschen. Man macht sich auf in die Parks und Sportanlagen, bevölkert die Spielplätze, besetzt Bänke und Plätze: Wochenende!

Monday, October 10, 2011

Arabischunterricht

Im Arabischunterricht sitzt die ganze Welt im Kleinen beisammen: Waldemar, bzw. Omar ist Russlanddeutscher Muslim und studiert Orientalistik in Düsseldorf, Ze Wan kommt aus Südkorea und studiert arabische Diplomatie. Wir haben Studentinnen, deren Gesichter ich nie gesehen habe. Aus Thailand, Nigeria, aus Kanada und den USA kommen sie und sitzen als schwarzer Block beisammen. Die Türken in der Klasse sitzen in zwei Gruppen getrennt: Kopftuchträger hinten, Liberale vorn. Ein Student kommt aus Kasachstan, ein Mädchen aus Mexiko, Christina aus Rumänien. Neben mir sitzt Claire, die halb Deutsche, halb Französin ist. Ihre Kinder wachsen mit vier Sprachen gleichzeitig auf, und Claire selbst spricht fünf. In diesem Kurs jedoch ist sie genauso verloren wie ich. Während ich wie wild die Worte der Professorinnen Rasha und Shahinez ins Deutsche transkribiere und mit der Handschrift an der Tafel nichts anfangen kann, wird Claire nervös, wenn sie ein Wort nicht in arabischen Zeichen zu sehen bekommt, versteht aber dafür nichts. Als taub-blindes Paar ergänzen wir uns wunderbar: Ich sage Claire, was ein Wort bedeutet, und sie zeigt mir, wie es geschrieben wird. Rasha erwartet sowieso, dass wir alles von Anfang an können. Jetzt hat sie uns ein Blatt mit arabischen Grammatikbezeichnungen gegeben und kündigt an, dass sie nie wieder die englischen Worte für "bestimmtes Nomen," "Satzteil" oder "Pluralendung" benutzen wird... Na dann, Prost Mahlzeit!

Saturday, October 8, 2011

einmal aus der Rolle tanzen

 In Katara läuft ein lateinamerikanisches Festival. Der Saal unter einem blinkenden Sternenhimmel aus Glühbirnen ist vollgepackt mit Venezuelern, Brasilianern, Argentinern - die ganze Bandbreite der Latino Expats. Pancho Amat und Johnny Ventura treten im Dramatheater auf, durch Bühne und Vorhang säuberlich vom Publikum getrennt. Allerdings lässt sich dieses nicht auf den Sitzen halten und fängt bald an zwischen den Stuhlreihen zu tanzen. Anfangs werden die tanzenden Paare noch auf die Bühne geschickt, damit das Ganze einen Vorzeige-Charakter behält, später tanzen einfach alle, und fast lassen sich die Kataris selbst mitreißen: Sie schießen Fotos in ausgelassenen Posen und kichern über ihr eigenes Bild. Bei der Autogrammstunde blicken die Frauen neben Pancho und Johnny zwar ein bisschen verängstigt in die Kamera, aber letztendlich wollen sie doch so ein Foto. Sicher hätte der Staat keine offizielle Tanzveranstaltung finanziert. Die Organisatoren persönlich haben aber nichts gegen ein bisschen Spaß...

Bilderverbot

Seltsam, wie man hier zugleich so sehr traditionell und verschlossen, wie weltoffen und liberal sein möchte. Persönlich hat natürlich niemand etwas gegen tanzende Frauen, küssende Paare, und kurze Röcke. Aber das öffentliche Bild einer streng konservativen Gesellschaft muss gewahrt bleiben. Als Peter in seinem Unterricht Renaissance-Gemälde mit nackten Frauen zeigen will, wird die Bilddatei zensiert und von der Fakultät verboten. Der Dekan selbst hätte ja nichts gegen die Bilder, aber was wenn nur ein Student sich beschwert... Im Klassenraum lachen die Studenten über die Vorsichtsmaßnahme. Sie halten sich für weltgewandt genug um sich mit der Renaissance zu beschäftigen. Trotzdem bleiben die Bilder verboten.

Wiedersehen

Endlich ist der Container angekommen und hat Kisten voll geliebter Gegenstände dagelassen. Jeder Karton ist bekannt, jeder Handgriff in Erinnerung: Stunden mühsamen Packens, Klebens, Beschriftens. Und mit jeder Kiste wird eine andere Schicht unseres Lebens freigelegt: das merkwürdige Format der Notizblöcke aus Polen, die alten Odessa- Briefbeschwerer aus der Breslauer Wohnung, bulgarische Holzschachteln, die Tischdecke aus Italien, eine Tonvase meiner verstorbenen Großmutter, Glückssteine von Mutti, Fotokalender mit den altbekannten Bildern, Holzfiguren und Kerzenständer von Iwona, unsere grünseidenen Sofakissen und mein dänischer Webteppich, den ich vor Jahren für meine erste eigene Wohnung in Frankfurt gekauft hatte. Schwarzweißbilder der Einwanderer von Ellis Island, all die geliebten Bücher, Nabokov. Auch die Garderobe ist nun wieder vollständig, und mein altes Selbst kann in seine gewohnte Haut zurück. Aber möchte ich das überhaupt? Ich mache einen Müllsack auf und schicke den Überschuss an Altbekanntem erneut auf die Reise.

Saturday, October 1, 2011

Ausflug in die Dünen

Wir packen das Auto voll Handtücher und Sonnenöl und lassen uns vom Navi aus der Stadt führen. Im Süden liegen die Industriegebiete, Öl- und Gasraffinerien, die dem Land seinen Reichtum bescheren. Lange Wohnblöcke und Stripmalls säumen schnurgerade Straßen durch Stein- und Krautwüste, ein bisschen wie Eisenhüttenstadt oder Nowe Tichy: am Reißbrett entstandene Arbeitersiedlungen, effizienter Wohnraum, auf der Landkarte als "Bachelor Housing" ausgewiesen. Hier wohnen meilenweit nur Männer, die von Samstag bis Donnerstag in überfüllten Bussen dahin gefahren werden, wo die Luft nach Gas riecht und Flammen über den Schloten stehen. Stacheldraht und Fotografierverbot: "No trespassing."
Es beginnen die Sanddünen. Ordentlich aufgereiht warten hinter Bretterverschlägen und unter Sidra Bäumen Krads auf Städter, die dem Stau entkommen und  sich im Sand austoben wollen. Wir fahren weiter bis zum Tor des Sealine Resort, einer Grünanlage am Meer, umgeben von Wüstensand. Man kann sich für einen Kurzurlaub im Bungalow einmieten oder tageweise bezahlen.
Das Wasser ist heißer als die Luft und so salzig, dass es in den Beinen brennt. Ich mache Bekanntschaft mit den Nesseln einer Feuerqualle, die mich für eine Stunde auf die Liegewiese verbannt: Essigumschläge und Blasen auf der Haut. Am Strand kann man Bedus auf stolzen Pferden beobachten, Kamele grün-silbern besattelt. Die Sonne verschwindet groß und rot hinter Bergen aus Sand, und eine schmale Mondsichel steigt über den Wohnwagen und Getränkezelten auf. Aus einem Radio ertönt ein Männerchor zu Handtrommel und Guitarre; es riecht nach Salz und Grillfleisch. So beginnt die arabische Wüstennacht...

Kaffee mit Muachim

Muachim kommt um acht Uhr abends zu Besuch auf Tee und Kaffee. Es gibt Datteln und Zuckergebäck, denn wie meine Arabischlehrerin sagt: "Kachwa w tamr"- Kaffee und Datteln sind ein Zeichen der Gastfreundschaft. Der Archäologe aus Gaza trägt sein zu enges Kanada-T-Shirt wie um uns zu zeigen, dass er gar nicht so konservativ ist. Seine Frau bringt er trotzdem nicht mit, wird aber im Laufe des Abends nacheinander von seinen Söhnen angerufen, die kurz darauf in unserer Tür stehen: nach Alter geordnet, als wären sie zum Vorzeigen verabredet. Der Älteste ist in der zwölften Klasse und möchte bei Qatar Airlines Pilot werden.
Muachim hat in Westberlin studiert und die Wiedervereinigung miterlebt. Als er auf der Heimreise ein Stück Berliner Mauer nach Palästina einführen wollte, meinte der Grenzer, Mauerbrocken gäbe es in Gaza doch genug! Weil es nicht viele palästinensische Akademiker aus Gaza gibt, hat es Muachim zu einiger Berühmtheit gebracht: Henry Ford und Bill Clinton hat er begrüßt, und gut erinnert er sich an einen Besuch von Johannes Rau, dem er die archäologischen Sehenswürdigkeiten seiner Heimat näherbringen sollte: Die in Sachen Catering wenig beschlagenen Gastgeber hatten die Erfrischungsgetränke zu lange in der Sonne stehen lassen, so dass die Coladosen zum Empfang des Bundespräsidenten effektvoll explodierten und Frau Rau in einen Lachkrampf schickten. Frau Rau, lacht Muachim, halb so alt wie ihr Mann und an Archäologie kein bisschen interessiert! - Er schlägt vor, dass wir sein Foto in der deutschen Schule aufhängen, nach dem Motto: Es gibt in dieser Stadt jemanden, der den deutschen Bundespräsidenten persönlich gekannt hat!

InshAllah

Unser Arabisch-Klassenziel ist bei Prof. Shahinez in Gottes Händen: "Wenn wir, InshAllah, bis morgen unsere Bücher bekommen, werden wir, InshAllah, bis zum Ende des Semesters zehn Kapitel durcharbeiten. InshAllah werden Sie regelmäßig Ihre Hausaufgaben erledigen, so dass Sie alle, InshAllah, gute Noten erhalten!" Im Chor sprechen wir Wörter und Sätze nach: "Ich unterstütze die Vereinten Nationen" und "das ist eine Hündin" ("this is a bitch," - man hat sich aus unerklärlichen Gründen für dieses Beispiel entschieden). Wir versuchen angestrengt der Grammatiklektion zu folgen, erraten Wörter und puzzeln mit Buchstaben. Nach einer Woche sprechen wir zum ersten Mal frei- und mit Akzenten aus aller Welt!

Saturday, September 24, 2011

Freiheit für Palästina

Palästina ist ein emotionales Thema dieser Tage: Die Zeitungen zeigen den Emir in traditionellen Gewändern an goldenen Tischen mit arabischen Staatsoberhäuptern, in schnittigen Anzügen mit Hillary Clinton, oder als Sprecher in der UN Vollversammlung. Alle sind sich einig: die USA müssen ihr Veto gegen Palästina zurückziehen um glaubhaft für Frieden und Demokratie eintreten zu können. Keine Sympathie für die israelische Lobby. Als diese Woche ein neuer Holocaust-Streifen in die Kinos kommt, reagiert die katarische Internetgemeinde gereizt auf das Thema und die Opferkarte, die Israel immer und immer wieder ausspielt. Ironische Kommentare in den Theatersitzen. Gute Nazis? - Nein, aber man wünscht sich ein aktuelleres Bild und eine Alternative zu Hollywood.


der Prozess

Möglich ist es, dass ihn irgendjemand angezeigt haben könnte, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, fühlt P. er könne jeden Augenblick verhaftet werden.
Am Donnerstag ist ein weißer SUV in unseren schwarzen Seat gefahren und hat einen Prozess in Gang gesetzt, der aus Kafkas Feder stammen könnte: Niemand weiß, was genau geschehen muss, wenn zwei Autos zusammenstoßen und sich dann eines von beiden aus der Affäre zieht ohne sein Kennzeichen zu hinterlassen. Peter meint, er könne angezeigt worden sein, obwohl es nur unsere Stoßstange ist, die eine Delle davongetragen hat. Also fahren wir zurück zum Kreisverkehr, wo alles passiert ist, zur Autovermietung, wo man uns erklärt, man brauche einen Polizeibericht um überhaupt einen Wagen in die Werkstatt bringen zu können. Das sei hier nunmal so: Der Staat will wissen, was passiert ist. Also machen wir uns auf den Weg und suchen die Polizeistation, die für den Stadtteil des Unfallorts zuständig ist, fragen eine Gruppe Jugendlicher in weißen Dishdashas. Die lachen über ihr eigenes schlechtes Englisch und haben offenbar keinen blassen Schimmer. Wir folgen dem Rat eines ernsten Inders, der einen verlässlichen Eindruck macht und enden in einer Sackgasse aus Schotter und Staub.Wir fragen einen Katari in weißem SUV, die Sorte, die einem in die Stoßstange fährt, bekommen eine Wegbeschreibung, fahren im Kreis und enden an der Einwanderungsbehörde. Die Stadt ist eine Riesenschlange, die sich häutet, ein Labyrinth, dessen Mauern sich ständig verschieben, wo Straßen im Nichts enden, Kreuzungen über Nacht verschwinden und Behörden schneller umziehen, als die Straßenkarten gedruckt werden. Irgendwann haben wir die Polizei gefunden, nur um zu erfahren, dass für unseren Abschnitt eine andere Station zuständig ist. Die zwei Polizisten drehen und falten unseren Stadtplan, fahren mit den Fingern die feinen Adern entlang, streiten darüber, ob man an diesem oder jenem Kreisverkehr links oder rechts abbiegen muss, und wir merken schon: das wird eine lange Nacht.

Wednesday, September 21, 2011

Lehrerinnenfortbildung

Am Montag haben wir einen Ganztagesworkshop im Hause der Schulleiterin: Ein untersetzter Mann in orangefarbenem Hemd kommt aus Köln, um uns in die Geheimnisse der Phonetik einzuweisen. Gewisse phonetische Zwischenklänge bringen ihn dann aber ziemlich schnell aus dem Konzept: Der Gebetsruf aus der Moschee nebenan, das Babygewimmer aus Katrins Kinderwagen, Hausfrauengezwitscher in den verlängerten Kaffeepausen... Und ich hätte wissen müssen, wenn es einen Ganztagesworkshop gibt, sind viele Partnerspielchen, langsam gekaute Diskussionen, Stuhlkreis und Atemübungen involviert. Es kam sogar noch schlimmer: Mit Korken zwischen den Zähnen standen wir bald im Wohnzimmer, der Projektor auf dem Bügelbrett, bunte Poster ringsum an die Bücherregale geheftet, und übten Zungenbrecher, führten theatralische Unsinngedichte auf, trommelten und rasselten Wortsilben mit Rhythmusintrumenten, warfen Bälle und lasen von Papierschnipseln ab, während zwischendurch Ankes Kinder aus der Schule kamen und entsetzt das Treiben in der Stube beäugten. Gut, wenn man als Lehrer ab und zu den eigenen progressiven Methoden ausgesetzt wird und merkt, was man den Kursteilnehmern da eigentlich antut.

Souq am Freitag

Der Souq am Freitagabend: Verschleierte Frauen bereiten Crepes auf heißen Platten: den Teig verteilen sie mit der flachen Hand. Eine Frau schlägt ein Ei in den Teig, eine andere ein paar Spritzer Tobasco Sauce. Eine Dritte streut Käseraspeln. Gegenüber kann man ihre Schleier kaufen: durchsichtiges Schwarz mit Mundlatz. Wie ißt man damit eigentlich? Ein Mann führt einen Falken unter der Haube aus, es gibt Fleisch am Spieß, glitzernde Stoffe in allen Farben, Seifenblasen aus Plastikpistolen. Hausfrauen verkaufen Selbstgekochtes aus silbernen Töpfen. Wir wollen eine Tischdecke und bekommen Teppiche mit verschlungenen Mustern ausgefaltet. Später sitzen wir wie im Beduinenzelt in der Familienabteilung eines Restaurants, die fein geschnitzten Tische tatsächlich durch Teppiche geschützt . Jeder bekommt eine große Schüssel Fleisch und Gemüse, unmöglich alles aufzuessen.
Ausgeschlossen von der Pracht des Basars sind indische Arbeiter, die in den Seitengassen von Polizisten in beigen Uniformen und weißer Gutra zurückgewiesen werden. Wir beobachten und überlegen, wie man wohl die Arbeiter von Studenten, die Inder von Nepalesen unterscheidet, und ob auch Phillipinos draußenbleiben müssen. Ist das nun Rassentrennung oder die Abgrenzung von Privatgrund? Geht es um Hautfarbe oder Geld? Und wohnen die Arbeitsmigranten auch in Ghettos, die den Touristen und Geschäftsreisenden verborgen bleiben?



Friday, September 16, 2011

Weiße Frau am Pool

Ich habe das Gefühl ich bin so eine Art Compound-Gespräch, die weiße Frau am Pool, da ich mich mindestens zweimal am Tag beim Clubhaus blicken lasse, zwischen kreischenden kleinen Arabern und Indern meinen Laptop aufklappe, und versuche mein Email Konto unter Kontrolle zu halten. Oder ich sitze mit einem Buch am Poolrand und warte auf den Moment, da die Schreihälse zum Essen gerufen werden. Dann drehe ich ein paar Runden: mein Sport für heute.

Gestern hat sich ein kleiner Junge aus Bangladesh ein Loch in den Kopf gestoßen, als er am Poolrand ausrutschte. Mutter und Schwester hatten vorher um die Wette getaucht, beide mit langen weißen Kopftüchern und Blasen schlagenden weiten Gewändern. Nun schauten alle auf mich. Offenbar erwarteten sie von einer Amerikanerin, für die sie mich zweifellos halten, effizientes Krisenmanagement und Krankenschwesterfähigkeiten. Die Mutter rief panisch zu mir herüber, sie brauche Hilfe, da waren schon die Sicherheitsleute vom Clubhaus da und bestellten einen Krankenwagen. Irgendwie schienen sie meine Ratschläge trotzdem zu beruhigen: Ruhe brauche der Junge, sagte ich, und die Mutter brachte ihn sofort vor der neugierigen Kinderschar in Sicherheit und nach Hause. Derweil fragten die Krankenhausmitarbeiter am Telefon nach der Nationalität des Jungen, was ihre Hilfe wohl eher verzögerte...

Nachtleben um die Ecke

Nachts, nach Schließungszeit, klettere ich nochmal durch ein Loch im Zaun in den WiFi- Bereich am Clubhaus. Erschrocken stehe ich plötzlich vor dem Sicherheitsmann. Dieser schmächtige Junge ist noch ganz neu und sichtlich stolz auf seine Uniform und den guten Job, lächelt breit und stellt sich vor: Dheepi (oder so ähnlich) aus Nepal, und ich verstehe sein Englisch kaum. Er bleibt bei mir und tritt von einem Fuß auf den anderen, fragt woher ich komme, und wie es in den USA sei, und ob man nach Deutschland einwandern könne - ein ganz sanfter Junge, der die frechen Araberkinder kaum unter Kontrolle hat und sogar von den Mädchen wie ein Diener behandelt wird. Letztere haben schon gelernt Befehle auszuteilen: Streng rufen sie ihn herbei und fragen, warum er an "Ladies Day" Jungs in den Poolbereich lasse! Mein Nepalese kniet sich zu ihnen hinunter und erklärt ganz ruhig und freundlich, als hätte er tatsächliche Ladies vor sich. Und ich? Ich merke, wie viele Länder es gibt, über die ich eigentlich gar nichts weiß: Nepal - Hochglanzfotos mit Bergen und Tempeln in Tourismusbrochüren?! Er versteht und drückt mir die Visitenkarte seines Onkels in die Hand, dem eine Reisefirma gehört. Tatsächlich: in der Ecke ein Foto mit Tempel vor Bergkulisse!

Die Halbstarken im Compound langweilen sich des Nachts. Man sieht sie vor dem Supermarkt herumlungern, Brause kaufen und heimlich Zigaretten rauchen. An unserer Hausecke treffe ich auf die Horde. Diese verstummt mit einem Schlag; alle Augen richten sich auf mich. So langsam wird mir klar, warum es so wenig Amerikaner in "Al Zuhoor" gibt: Die ziehen früher oder später in den privateren Komplex "Bin Nasser" um...

der Geist der verschwundenen Dinge

Gedankenversunken steht er in der Küche und hat schon wieder vergessen, was er eben noch suchte. Verdutzt schaut er auf die Kaffeetasse in seiner Hand und erinnert sich: einen Löffel! Dabei liegt das Plastikgeschirr direkt vor ihm auf dem Küchentisch. Mein Mann gehört zur Spezies von Mensch, die sich vollkommen in einer abstrakten Aufgabe vergraben, und dann zum Zeugen werden, wie die Welt der Alltagsgegenstände sich gegen ihn verschwört. Mein Akademiker begreift dann jeden Zufall als Schicksalswendung, spricht von einem Geist, der in unserer Wohnung haust und das Portemonnaie just in dem Moment in Luft auflöst, wenn wir zum Essen verabredet sind, oder den Führerschein unter dem Teppich verbirgt und ihn erst wieder zum Vorschein bringt, wenn es zum Aufbrechen zu spät ist. Gelegentlich nehmen die Gespenster überhand, dann rauft er sich die Haare, macht ein Gesicht des Elends und beteuert mit einem Flackern in den Augen, dass er in ständiger Angst lebe einen falschen Schritt zu tun.
Reisen fordern von uns die genaueste Vorbereitung, sollen sie nicht im Desaster enden. Bevor ich von diesem Fluch wusste und entsprechende Vorkehrungen traf, waren alle unsere Ausflüge eben das: die reinsten Desaster, auf denen alles schiefging, was nur irgendwie misslingen konnte. Ich erinnere mich an eine Reise, die zum Stillstand kam, bevor wir überhaupt unser Haus in Berlin verlassen hatten: beim Beladen des Autos hatten wir es geschafft uns aus der Wohnung auszusperren! Glücklicherweise konnten wir mittels Mobiltelefon einen Schlüsseldienst rufen. Mit zweistündiger Verspätung trafen wir bei den verabredeten Bekannten ein. Zu anderen Anlässen schien sich die Natur ganz ohne Zutun von Schusseligkeit gegen uns zu verabreden: Im wunderbaren kroatischen Split wurden wir von Sturzregen begrüßt, dem kein Regenschirm gewachsen war. Flüsse rauschten über die Windschutzscheibe unseres kleinen polnischen Fiat, aber mein Mann war fest entschlossen zurückzuschlagen und unserem Gespenst der Widrigkeiten nicht klein beizugeben. So gelangten wir schließlich mit fest am Körper klebender Kleidung und Schuhen voll Wasser in die Herberge. Ob platte Reifen, ausgebuchte Hotels, Klein- oder Großkriminalität, zielsicher trafen uns sämtliche Reisepannen.
Wie unsere Katze hasst mein Mann neue Wohnungen, was besonders unpraktisch ist, da wir bisher nie länger als zwei Jahre in ein- und derselben zugebracht haben. Während sich die Katze tagelang hinter Vorhänge und unter Sofas drückt und bei jedem Geräusch zusammenzuckt, als finge ein Krieg an, breitet mein Mann unsystematisch ein Sammelsurium von Zetteln, zerfledderten Büchern, Heften, zerknüllten Taschentüchern, Schlüsseln, Schrauben, Kabelsalat, Tüten, und Taschen über den ungewohnten Wohnraum, nur, um ein paar Stunden später den ersten Nervenzusammenbruch zu erleiden: Sein Pass sei unauffindbar! Nun bliebe uns nichts weiter übrig, als zur Botschaft zu fahren und für $500 einen neuen zu bestellen. Da er aber ohne Pass nicht Auto fahren könne in diesem Land, seien wir wohl oder übel verloren, und Schuld an allem sei nur diese vermaledeite neue Wohnung! Keine rationale Erklärung kann ihn in solchen Momenten davon abhalten unseren bösen Hausgeist zu beschwören. Slavischer Fatalismus breitet sich aus, bis ich den Pass aus eben jener Tasche ziehe, die wir vorher als "Tasche für alles Wichtige" festgelegt hatten.

Dubravka Ugrešić zält in einem ihrer Bücher die Dinge auf, die im Bauch des Walrosses Roland gefunden wurden, nachdem es 1961 im Berliner Zoo starb: "ein rosa Feuerzeug, vier Eisstäbchen (hölzern), eine Metallklemme in Form eines Pudels, ein Bieröffner, eine Frauenhalskette (wahrscheinlich Silber), eine Haarspange, ein Plastikmesser, eine Sonnenbrille, eine Metallfeder (klein), ein Gummiring, ein Wurfgeschoss (Kinderspielzeug), eine Stahlkette von 18cm Länge, vier Nägel (groß), ein grünes Plastikauto, ein Metallkamm, ein Plastikband, eine kleine Puppe, eine Bierdose (Pilsner, halber Liter), eine Schachtel Streichhölzer, ein Babyschuh, ein Kompass, ein kleiner Autoschlüssel, vier Münzen, ein Messer mit Holzgriff, eine Babypuppe, ein paar Schlüssel (fünf), ein Vorhängeschloss, eine kleine Plastiktüte mit Nadeln und Faden." Die kuriose Sammlung von zufälligen Gegenständen erinnert an den Wust von Kleinteilen, der meinen Mann begleitet, wohin er auch geht. Haben wir an einem Ort mehr als drei Tage verbracht, lagern sie sich überall ab, die Grüppchen von Münzen und Gummibändern, Papierschnipseln, Feuerzeugen, Batterien; als könnte er nichts Neues mehr schlucken; als habe er schon mehr angesammelt, als ein Magen verdauen kann in einem Leben.
Unsere Lieblingsstadt ist Berlin. Sie ähnelt dem Magen meines Mannes. Ugrešić schreibt, Berlin habe wie das Walross Roland in seinem Leben zu viel Unverdauliches geschluckt: Im Teufelsberg liegen wie zum Beweis 26 Millionen Kubikmeter Trümmer unter der Grasnarbe. In Berlin tritt man mit jedem Schritt in ein anderes Extrem der Geschichte. Unheimlich ist's in der leeren U-Bahn, wenn man im Abteil allein fährt. Unter der Erde: Unverdaulich-Unvereinbares, Vergangenes.
Wenn Menschen Städten ähneln, so ist die Lebensgeschichte meines Mannes eine ebenso ungeordnete Ansammlung von Dingen, die sich im Innern ablagern und aufeinanderschichten: Geboren im kommunistischen Polen der späten 70er Jahre, aufgewachsen im bettelarmen Lybien und Ägypten der 80er, Fremdling und halbherziger Katholik im konservativen Colorado und dann Teil der Neuen Linken im kriminalitätsgeschüttelten New York City. Als Erwachsener: Reisen zurück in das Geburtsland Polen. Leben testen in Berlin, in New Jersey.
Vielleicht muss man heute in ein reiches und zutiefst traditionelles Land wie Qatar gehen, um das Lebensgefühl einer Kindheit im Sozialismus wiederzufinden: Hier predigt man Familie, Moral und Nächstenliebe, verwirft Dekadenz und Egoismus. Es ist leicht zu kritisieren --- oder zu glauben. Wer die gängigen Werte akzeptiert, hat Chancen auf einen gut bezahlten Job. Wer dagegen ist, verlässt das Land. Die Kinofilme hier sind jugendfrei, die zensierte Musik harmlos; Fernsehsendungen bilden, Zeitungen bestätigen die bestehende Welt, die hier Wahrheit bedeutet. Identität ist erlaubt.

Von Zeit zu Zeit überrascht mich mein Mann mit seiner eigenen, skurrilen Poetik, die das scheinbar Unvereinbare nebeneinanderrückt. In unserem derzeitigen Wohnsitz zeigt er auf die Katze, die sich in der Gardine zusammengerollt hat: "Sieh, sogar Kleo trägt hier Schleier!" Auf der Straße rauscht eine schwarz Vermummte samt Entourage im dicken Jeep vorbei: "War das eben Darth Vader?" - Für einen Moment staunen wir über die Genauigkeit, mit der der Vergleich ein Gefühl trifft, lachen, und vergessen das Gespenst der unvereinbaren Dinge.

Tuesday, September 13, 2011

Happy People

Heute quetschen wir uns mit Henry und seiner kleinen amerikanisch-vietnamesischen Familie ins Mietauto und fahren eine neue Mall entdecken. Unterwegs imitiert Henry sehr gekonnt deutsche Schlager,  Nena und Falco. Wir probieren Zungenbrecher in verschiedenen Sprachen: "That thirsty girl turns thirty next Thursday"- Wenn Henrys Frau Than das ausspricht, wird daraus eine Reihe dirties. Alle lachen, am meisten Than selber. Baby Christo kann noch nicht sprechen, lacht aber laut mit. Überhaupt lachen die Vietnamesen viel: Wenn Than eine Komödie schaut, kann sie nicht aufhören zu lachen, "als wäre sie auf Drogen," so Henry, der sich liebevoll über seine lustige Familie amüsiert. Christo bekommt manchmal einen Lachanfall, dass man Angst um seine Gesundheit bekommt. Dabei ist das Lachen so gesund, dass die allerernstesten Situationen leicht werden: Wenn Than in der Öffentlichkeit stillt, stört das auch die konservativen Kataris nicht, denn wer könnte etwas gegen eine lachende Mutter mit lachendem Baby an der Brust einwenden? Im Restaurant lacht ein Seebär von einem Mann vom Nachbartisch herüber, ein mächtiger Grieche, der von seiner Insel Zypern schwärmt und uns schmunzelnd seinen Rententraum ausmalt: in ein paar Jahren werde er nur noch im Park sitzen, Wein trinken und mit seinen zehn Enkelkindern um die Wette lachen...

Deutsche Hausfrauen

Wie im Hühnerstall geht es zu beim deutschen Frauentreffen in Doha: Jede versucht im schwäbisch bis bayerischen Dialekt das Gespräch auf ihre Kinder und deren Schule zu bringen. Wenn ich von Amerika oder Polen, von der Uni oder Berlin anfange, spüre ich das Eis unter meinen Füßen dünn werden. Wahrscheinlich bin ich schon nach zehn Minuten Anwesenheit der ausgemachte Fremdkörper in diesem warmen Nest. Dabei haben die Mütter oft erfolgreiche Karrieren hinter sich: Eine ehemalige Juristin spricht von langen Einkaufslisten, eine ehemalige Ärztin kümmert sich um den Deutschunterricht ihrer vier Kinder. Sehr sympathisch und mit Sinn für Selbstironie sind die zwei syrisch-kanadischen, bzw. iranisch-amerikanischen Deutschen. Auf dem Nachhauseweg werde ich gefragt "mit welcher Firma" ich, das heißt mein Mann, denn da sei. Nach kurzer Aufklärung - aha, alle anderen sind bei deutschen Firmen in Qatar angestellt - erzähle ich von Qatar University. - Wie bitte, man kann auch von einer lokalen Bildungseinrichtung angeheuert werden?!

Jesus People

Wir sind zum Essen bei Todd und Anna aus Kansas. Ihr Stadthaus strahlt dunkle Förmlichkeit aus, in der Einfahrt ein ordentlicher Familienwagen. Drinnen: Klavier und antike Szenen an der Wand, aufgeräumtes Mobiliar. Es gibt schmale Spargelstreifen und Wildreis. Vor dem Essen muss auch der rothaarige William mitbeten, dafür, dass es "unseren Gästen" (Peter und ich sind gemeint) gut ergeht in diesem Land. Sie danken Jesus für dieses Geschenk (uns). Geschmeichelt und verlegen beginnen wir unser Abendmahl. Die beiden sind unglaublich hilfreich und klären uns über alle möglichen Eigenheiten und potentiellen Schwierigkeiten Qatars auf. Wie sich herausstellt, hatte die kleine Familie, die letztes Jahr aus Cambridge hierher kam, einen katastrophalen Start, bei dem alles schiefging, was bei den lokalen Gegebenheiten nur misslingen kann. Woher kommt so viel Pech? Todd ist trotzdem unglaublich verständnisvoll, lobt seinen und Peters Vorgesetzten, den mein Mann schonmal als faulen Blender charakterisiert hatte, und ist insgesamt moderat begeistert von den vielen Möglichkeiten, die die noch im Entstehen begriffene akademische Landschaft des Mittleren Ostens bereit hält. Mir wird klar, dass sich religiös-ernste Menschen von einer traditionellen muslimischen Gesellschaft angezogen fühlen müssen, und kreuze auf dem Formular für die Arbeitserlaubnis anstelle von "religionslos" lieber "christlich" an.

Friday, September 9, 2011

von Poolparties und Wasserschlachten

Wir leisten uns einen Tag im dekadent-teuren Beach Resort des Intercontinental Hotels um endlich einmal einen richtigen Strand zu sehen und das Wasser im Persischen Golf zu testen: Bikinis hier ausdrücklich erlaubt, Alkohol zum Mindestpreis von $10 kann direkt im Pool bestellt werden, Hotelbedienstete bringen Kühltücher und Getränke bis an die Liegestühle unter Palmen. Der Golf ist warm und weich, das Wasser sehr salzig: man kann drauf liegen. Komplett geschminkt und frisiert steigen Damen in Perlenketten und mit Cocktailglas in die Wellen; jung, gutaussehend und braungebrannt das Publikum an Strand und Pool.
Gegen Abend kommen ein paar arabische Familien. Eine Mutter im Schwimm-Dress, das aussieht wie ein Schlafanzug, lässt sich an der Westseite des Pools nieder, ihr Mann auf der anderen Seite. Ihre Kinder haben ganz neue und extra weit spritzende Wasser-Maschinengewehre, mit denen sie beginnen die dicken britischen Kinder zu ärgern. Diese sind zu zivilisiert, um das Spiel lustig zu finden; es entbrennt ein Kampf zwischen ehemaliger Kolonialmacht und einheimischer Befreiung. Am Ende muss der arabische Papa seinen Sohn widerwillig aus dem Gefecht ziehen. Später sitzt neben der Frau im Schlafanzug eine schwarz Vermummte, die ihren Sohn umständlich in den Pool hieft, indem sie zugleich ihre Tücher und Umhänge festhält. Ihr indisches Kindermädchen darf auch in den Pool, während sie selbst unter dem Sonnenschirm bleibt und mit ihrem Handy spielt: Wie langweilig ist so viel Luxus! Das Söhnchen fraternisiert sofort mit der Wasserpistolen-Gang, indem es diese immerfort und ziemlich nervtötend anspringt. Offensichtlich versteht das Kind die Spielregeln für Jungs besser als die europäischen Sissies!

teure Säbeltänze

 Langsam wird mir diese nationale Elite unheimlich: Gestern hat der Emir deftige Lohnerhöhungen für Staatsbürger im öffentlichen Dienst bekanntgegeben. Die betreffenden Kataris verdienen rückwirkend zum 1.September bis zu 120% mehr als vorher! Wozu solch krasse und selektive Gehaltserhöhungen? Das bedeutet, dass an der Uni nun Mitarbeiter nebeneinandersitzen, die exakt die gleichen Aufgaben ausführen, der eine aber weniger als halb so viel verdient, weil er kein Staatsbürger ist... Oder sitzen jene von Vornherein nur in den höheren Etagen der Verwaltung? Wer ist eigentlich katarisch und wer nicht? - Auf einmal merke ich, dass die netten Frauen in der Personalabteilung selbst aus Syrien und dem Iran kommen, obwohl sie die schwarzen Abayas tragen ("Die sind so praktisch: Ich muss nicht entscheiden, welche Bluse zu welchem Kopftuch passt... "), und dass wir eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu echten "nationals" haben (Vielleicht sind die so reich, dass sie es sich leisten können im Ausland zu leben?)!
Hier ist, so scheint es, eine Nation am entstehen, die sicherstellen muss, dass sie vor lauter Einwanderern nicht untergeht, obwohl sie diese  braucht um sich selbst zu erfinden. Am Doha Film Institute lässt man sich von Franzosen zeigen, wie gute Filme gemacht und  nationale Mythen hergestellt werden. Im Oktober kommt "Schwarzes Gold" von Jean-Jacques Annaud auf die Leinwand: der erste Film, der in Qatar spielt und im Grunde die Geburt der Moderne auf dieser Halbinsel feiert. An der Universität zeigen amerikanische Professoren, wie man Geschichsbücher schreibt. "History of Qatar" wird von ausländischen Orientalisten und Religionswissenschaftlern unterrichtet, und in der Innenstadt bauen indische Arbeiter das "national museum," wie es schon jetzt seinen Platz in den Reiseführern hat.
Es wird spekuliert, dass die Lohnerhöhungen zum Heiraten und Kinderkriegen ermuntern sollen. Katarische Hochzeiten sind, so lasse ich mir von meinem phillippinischen Fahrer unterwegs zur nächsten Behördenhürde für die Aufenthaltserlaubnis erzählen, sehr teuer - "und LANGWEILIG!" - muss er lachend hinzufügen: "Beduinische Säbeltänze und Teetrinken unter Männern..."

Tuesday, September 6, 2011

Körper und Zeichen

Sieg der Rationalität: Heute hat der Hausmeister ein Plakat in den Pooleingang gehängt, auf dem Badeanzüge und Shorts beim Schwimmen eindeutig erwünscht sind! Na bitte, zwar kein Freischein für den Bikini, aber immerhin.  Lange Hosen und T-Shirts sind mit dickem Rotstrich durchkreuzt, aus hygienischen Gründen. Trotzdem sitzen ein paar Mädchen langärmelig und mit Kopftuch im Wasser, Eistüte in der einen, Coladose in der anderen Hand, was die Hygiene im Chlorwasser betrifft...

Ich versuche immernoch hinter die Männer- und Frauenwelten im Islam zu schauen. Die beiden Planeten kommen wirklich kaum miteinander in Berührung. Neulich erklärte uns ein Fahrer, dass Hochzeitsfeiern hier ohne Frauen stattfinden! Also, die Männer tanzen miteinander, die Frauen sitzen zu Hause und trinken Tee oder bemalen sich die Hände mit Henna; das schränkt ganze 24 Stunden die Bewegungsfreiheit ein... Frauen dürfen in der Öffentlichkeit nicht angefasst werden, aber die Männer halten sich ausgiebig an den Händen und scheinen sich den ganzen Tag lang zu küssen. Vor allem wenn einer eine wichtige Position hat, wird er immerzu umarmt und innig geküsst, obwohl man Homosexualität hier mit der Peitsche bestraft!
Bashak sagt, alles kommt von der Emotionalität und Körperbetontheit im Orient, die im W
esten durch Abstraktion und Rationalität ersetzt wurden. Wo der Körper im Westen nur noch Zeichen ist und nicht mehr als sexuell wahrgenommen wird, muss er hier verschleiert werden, damit die Welt eine Ordnung behält. - Ach so, deshalb ist FKK in Deutschland so beliebt?! - Im Christentum habe man das Symbol des Kreuzes, und eine abstrahierende Schriftkultur, im Islam mündliche Sprache, die an den Körper, an Mund und Zunge gebunden bleibt. - Ach so, deshalb wird mein Name hier in jeder Behörde anders geschrieben, was nur mich allein stört?!
Ich lese, dass die unterschiedliche Einstellung zu Körper und Zeichen auch eine andere Beziehung zum Geld mit sich bringt: Während man im Westen spart und spekuliert, wird hier kräftig ausgegeben: Für Paläste mit Paradiesgärten, für Diener, die diese pflegen, für große Autos, schöne Pferde, teure Schulen, exquisite Speisen, feine Gewänder, kurz: für alles, was das Ansehen der Familie erhöht, denn Schein ist alles. Geld verdirbt, wenn es nicht von Hand zu Hand geht, sagt ein orientalisches Sprichwort. Der Slogan würde sich in mageren Wirtschaftszeiten auch in Europa gut machen...

Monday, September 5, 2011

Staubige Strände


Japanischen Touristen klettern aus einem hohen Geländewagen, den man in dieser kargen Steinwüste im Hinterland braucht, und stellen sich für ein Foto vor die malerischen Fischerboote im Hafen von Al Khor. Weit und breit sind sie die einzigen, die sich für die bescheidene Sehenswürdigkeit des Hafenstädtchens interessieren. Wir jedenfalls suchen einen Strand: "Shatee!" - "Da ist er doch!" wird uns gezeigt: ein Flecken schmutziger Staub neben der Kaimauer. Unter einem ausgeblichenen Pavillion hat sich eine muslimische Familie niedergelassen. Die Frauen schwarz vermummt bis an die Zehenspitzen, Männer und Jungs wagen sich in langen Sporthosen über spitze Steine in das warme Nass. Notiere: Auch Männer zeigen hier nie nackte Beine! Ein kleiner Kreis, den bunte Betonblöcke als "Familienstrand"  ausweisen, ist vollgestellt mit robustem Kinderspielzeug. Ein Schild bittet den Besucher, sich an traditionelle Kleidervorschriften zu halten, was bedeutet, dass ich heute nicht baden werde. Der ebenso schmutzig-graue Strand des benachbarten "Beach Resort" kostet rund $80 pro Person, beinhaltet aber ein Luxusessen im orientalischen Fünfsternehotel, in dem einst der Emir übernachtete...

Shokran!


Der Innenstadtverkehr am Abend ist unerträglich: Jeder rückt dem nächsten auf die Pelle, man hängt mit der Stoßstange am Nummernschild des Vordermannes, wer mehr als 20cm Luft läßt wird angehupt. Irgendwann musste es passieren, dass wir in diesem Gedrängel in die Bordsteinkante fahren und uns mit plattem Reifen in der nächsten Ausbuchtung wiederfinden. In Ländern, wo man sich auf sein eigenes Mobiltelefon und Portemonnaie verlässt, würden wir den mehr oder weniger zuverlässigen Abschleppdienst bestellen und die gleichgültigen, vom verzögerten Verkehr genervten Autofahrer vorbeiziehen sehen. Im zentral gesteuerten Doha sind sofort zwei Helfer zur Stelle: ein Polizist, der den Verkehr regelt, und ein Händler, dessen Einfahrt wir blockieren. Die beiden tasten das Vorderrad ab, beratschlagen sich auf Arabisch, sammeln mögliche Werkzeuge zusammen, und entwickeln in Windeseile ein Zeichensystem, mit dem wir zusammenarbeiten können. In zehn Minuten ist der Reifen gewechselt, die zwei lächeln und verschwinden, und alles, was ich zum Abschied sagen kann ist "Shokran!"

Family Day


Ich traue meinen Ohren nicht, als ich am Eingang zur einzigen Grünanlage mit Wasserspielen und einem kleinen baumbewachsenen Hügel abgewiesen werde. Begründung: "Family Day"- nur Familien haben Eintritt! - Wie bitteschön definieren Sie "Familie," ich bin meine eigene Familie! - Sage ich dem Wärter, dem übrigens als männlicher Einzelperson genauso der Zutritt versagt werden müsste. Letzteres behalte ich für mich. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie in aller Welt ich als Frau die Ehre der Familientöchter am Wiesengrund beschädigen könnte und halte den Wärter schlichtweg für frauenfeindlich. Verärgert stapfe ich am Zaun entlang zum nächsten Eingang, wo ich ohne Probleme durchgelassen werde. Der Park liegt bis auf uniformiertes Wachpersonal unter jedem zweiten Baum menschenleer vor mir. Schade um die Verschwendung von Rohstoffen! Alle öffentlichen Sport- und Erholungseinrichtungen werden hier in dreifacher Ausführung gebraucht: für Männer, für Frauen, für Familien. Eine Kategorie für unverheiratete oder nicht von ihren Familien begleitete  Männer UND Frauen gibt es nicht. In der Zeitung beschweren sich eingewanderte Arbeiter, dass sie an ihrem einzigen freien Tag nicht in den Park können wegen der Familienregelung. Auf der nächsten Seite wird berichtet, dass sich Frauen durch die Anwesenheit alleinstehender Männer an den öffentlichen Stränden unwohl fühlen und deshalb lieber auf ein Bad verzichten. Ach, wie man sich das Leben doch schwer machen kann!

Friday, September 2, 2011

Des Emirs Verkehrssünden


Ich versuche im Doha Verkehrsinfarkt zu lesen wie eine Hellseherin im Kaffeesatz. Was heißt es, wenn in einem Land, das so streng geordnet ist wie die konservative muslimische Welt, vom Beten und Füßewaschen über die Gastfreundschaft und rituelle Förmlichkeit, bis hin zur Geschlechter- und Klassenordnung, jeder fährt, als säße er nicht im Familienvehikel, sondern auf einem Araberhengst?
 Angeblich ist der Grund dafür, dass der amerikanische Führerschein seit ein paar Monaten in Qatar nicht mehr gilt, ein Verkehrsdelikt des Emirs, der auf seiner letzten Reise durch die Staaten von einem Polizisten gestoppt wurde. Wenn sogar der Monarch Drängeln und Rasen als Kavaliersdelikt begreift, die darauffolgende öffentlich-rechtliche Rüge als Gesichtsverlust empfindet, dann helfen auch die netten Papp-Polizisten am Straßenrand nichts, die dem Berserker am Steuer sagen: "Sich an die Verkehrsordnung halten ist ein Zeichen von Kultiviertheit." Bis zur WM 2022 haben sich die katarischen Autofahrer hoffentlich genug kultiviert, um ein Massensterben von Touristen in dreispurigen Kreisverkehren zu verhindern...

Katara

Eine Attraktion, die im Reiseführer von 2008 nur als künftiges Projekt Erwähnung findet, ist das Kulturstädtchen "Katara," zwischen der "Perle" und dem Monarchenwohnsitz gelegen. Der Ausstellungs- und Veranstaltungsort ist Privatbesitz der Al Thani Familie, genauso, wie der Souk dem König gehört, und die türkisfarbene Taxigesellschaft mit ihren Fahrern in hellblauen Uniformen und grünen Schulterklappen ihrer Hoheit der "Sheikha." Das Städtchen sieht von außen aus wie eine weiße Festung. Durch einen hohen Torbogen tritt man in eine Welt, die katarische Architektur und Größe repräsentiert. Typisch katarisch sind zum Beispiel zwei Lehmgebäude, die wie überdimensionale Bienenkörbe in den Himmel ragen, oben mit Lochmuster wie in einer Spitzentischdecke. Von innen muss es zum Sehen hell genug sein, während die Sonne nie direkt in den Innenraum scheint. Es gibt zwei wunderschöne Moscheen mit Lochlampen und vergoldeten Mosaiken, dazu viel Ausstellungsraum in arabischen Lehmbauten. Dominiert wird das Gelände von einem modernen Amphitheater aus Marmor, das an das Kollosseum in Rom erinnert und in seiner monumentalen Wucht einiges über den Anspruch auf Weltgeltung meines jungen Gastlandes verrät. Hatte man in Deutschland nicht auch einmal ein architektonisches Projekt mit Namen "Germania" auf dem Reißbrett? - Entschieden schiebe ich den Gedanken beiseite und freue mich über diese ideale Stätte für Freiluftkino und Konzerte das ganze Jahr über!  Angrenzend gibt es einen traumhaften weißen Sandstrand, der zur Feier des dritten Eid-Tages mit weißen Lampions bestückt ist. Auf der Promenade laden Zelte mit Kuppeln aus Segeltuch und Diwanen zum Verweilen ein, der Scheich spendiert eine einstündige Lichtershow zu Weltmusik über der Wasserfläche.
Fehlt eigentlich nur noch die Kultur in diesem Kultur-Rohbau. Das Technische haben die Kataris drauf, wie man überall sehen kann. Was man mit Geld kaufen kann, wird ohne Zögern hergezaubert. Aber die Ausstellungsräume bleiben vorerst leer, die Freilichtbühne ist ohne Vorstellung besonders eindrucksvoll. Und der Strand? Wir erfahren am nächsten Tag, dass der Eintritt $25 pro Person kostet. Untersagt sind: das Tragen von beinfreien Badeanzügen, "unruly behavior" (dargestellt zwei händehaltende Strichmännchen), Fotografieren, Drogen (Alkohol), ...

furchtlose Fußgänger

Die Straßen der Innenstadt platzen an Eid-Al-Fitr aus allen Nähten mit Arbeitern, die den Tag frei haben. Gefährlich laufen Männer in ihren besten Hemden vor die Autos. Auch mitten auf großen Kreuzungen wagen sie sich über die Straße. Was Doha fehlt, sind Fußgängerampeln und Brücken über die stark befahrenen Straßen der Innenstadt, die noch aus einer Zeit stammen, in der es zu wenig Verkehr für derartige Vorkehrungen gab. An der Corniche riskieren gleich ganze Gruppen von Indern ihr Leben, indem sie zwischen der Grünphase der Gegenrichtung und der der Linksabbieger über die drei Spuren hasten, laut schreiend und lachend. Die langgestreckte halbkreisförmige Promenade am Meer ist an diesem Abend voll gepackt. Männer sitzen in Scharen auf der Kaimauer und den palmengesäumten Rasenstreifen, manche auf Verkehrsinseln, haben unsichtbare Radios dabei, essen, lachen, setzen buntbeleuchteten Booten über, aus denen Hare Krishna-Pop dudelt. Überall Feierstimmung und gute Laune.

Wednesday, August 31, 2011

Livekonzert

Zwischen der Corniche und dem feierlich angestrahlten Souk ist eine Bühne aufgebaut. Von goldgerahmten Großfotografien lächeln zurückhaltend die Stars des Abends: alle in Dishdashas und weißen Gutras, eine Frau in rotem Schleier ist dabei. Die Kulisse: eine weiße Burgmauer, rosa angestrahlt. Davor bauen die Musiker ihre Instrumente auf: Es sieht so aus, als würde sich das Orchester, bestehend aus Violinen, Cellos, elektrischen Guitarren, Keyboard, Saxophon, und Handtrommeln, auf ein klassisches Konzert vorbereiten. Wie überraschend ist der Effekt, als es unvermittelt losgeht: Der Geigenchor spielt leichtfüßig orientalische Schlangenlinien, das Saxophon wird zur Flöte eines Schlangenbeschwörers, die Trommler sitzen im Schneidersitz und trommeln auf ihrem Schoß, im Hintergrund ein Männerchor, der die Vorgabe des Leadsängers wiederholt. Letzterer ist ein schmaler langgliedriger Mann, der sich aus einiger Entfernung durch nichts von den Musikern unterscheidet. Er ist Teil des Orchesters, und seine Performance besteht aus dezentem Klatschen hin und wieder: Dann schlagen seine flächigen Hände leicht aneinander, nur symbolisch, um dem Publikum zu zeigen: Jetzt bitte Rhythmus klatschen! Die Musik muss von der Beliebtheit und dem Publikum her ein Äquivalent zum deutschen Schlager sein, Ute Freudenberg für Moslems: ganze Familien sind da, von Kleinkindern bis zur Großmutter, verschleierte Frauen und westlich gekleidete Herren, ein paar bunte Saris, hier und da Europäer wie wir. Nach einer halben Stunde kommt Stimmung auf: Anscheinend hat der Sänger ein bekanntes Lied angeschlagen. Es beginnt langsam und traurig, fängt dann an zu hüpfen, mischt ein paar jazzige Sequenzen ein, und siehe da, ein paar junge Männer im Publikum beginnen zu tanzen. Dishdashas  vollführen Bewegungen, die ich vom Bauchtanz wiedererkenne, drehen sich umeinander und beschreiben Wellenlinien mit ihren flachen großen Händen. So fremd sind uns Männer mit Schleier und weißem Kleid, dass ihr Tanz surreal anmutet. Die Verwunderung über den tanzenden E.T. im Film kann nicht größer sein, als unser Staunen bei diesem Anblick. Auf dem Höhepunkt der Stimmung ergänzt der Sänger seine Darbietung um ein bescheidenes Fächeln mit der flachen Hand.

Tuesday, August 30, 2011

Wohnungen mit Charakter

Unser Haus in Wrocław war voll von Gespenstern der Vergangenheit. Durch die Rohre, die das Bad durchzogen, konnte man in den Alltag von alten Frauen und frisch vermählten Paaren in den angrenzenden Wohnzellen hören. Einmal als moderne Errungenschaft des Sozialismus gefeiert, hatte der Plattenbau mit seinen dünnen Wänden und winzigen Zimmern seine besten Jahre hinter sich und bedurfte dringender Renovierung. Den besten Empfang hatte man unter Wasser in der kleinen verbeulten Badewanne, die, wenn man das Wasser zu schnell ablaufen ließ, das winzige Badezimmer überschwemmte. Mit der Wohnung musste man Geduld haben wie mit einer gebrechlichen Alten, die athmete und ihren eigenen Willen besaß: Ein blindes Monokel der Türspion, von einem schlechten Planer innen in die Doppeltür gesetzt. Wenn ich mir die Nase zuhielt und untertauchte, konnte ich hören, wie das Rentnerpaar nebenan Töpfe verrückte und mit den abgenutzten Gegenständen eines langen Lebens hantierte.
Ein Stockwerk tiefer lebte eine alte Dame mit einem kolerischen Dackel, dessen Gebell eines Tages verstummte. Die ehemalige Lehrerin, die hartnäckig ein paar mickrige Pflanzen im Treppenhaus wässerte, war eine gute Freundin der verstorbenen Tante, die noch in unserem Schlafzimmer herumspukte. Olga Okulska war drei Jahre vorher in diesem Zimmer gestorben und hatte eine Wand voller Bilder ihrer verschwundenen Welt hinterlassen. Ein wenig verblasst und mit verschwommenen Gesichtszügen: ihr Mann, der das KZ überlebt und doch vor ihr die Welt verlassen hatte. Sie: erstaunt- besorgten Blickes und noch im Alter mit dickem schwarzen Haar - eine adlige Russin von der Krim, so muss es gewesen sein. Aus irgendeinem Grunde hatte sie aus ihrer Heimat am schwarzen Meer flüchten und im kriegszerstörten Breslau, das gerade Wrocław wurde, ein neues Leben beginnen müssen. Ihr Mann, aus den Lagern entkommen, war hier gelandet wie sie: zwei, die sich in der Not halfen. Als Schlesien polnisch wurde, versteckte die Tante ihren russischen Akzent und vergaß das Deutsch, welches sie unter der Breslauer Verwaltung gelernt hatte. In ihrem Bücherschrank schmiegten sich Volumen in vier Sprachen aneinander, dicke Lederbände mit vergilbten Inschriften, von einer altmodischen Glastür geschützt.
Olga  schlich sich manchmal in die ovalen Schminkspiegel des weißlackierten Trumeau, und  des nachts hörte ich sie in den niedrigsten Frequenzen unseres Kofferradios auf Russisch wispern. "Oдессa", in verblassten Goldlettern unter blauer Küste in einer Glasblase schwimmend, förderten wir aus den Tiefen einer Kommode ans Licht. Souvenirs aus längst vergangener Zeit erinnerten an Abende am Schwarzen Meer, eingraviert in eine silberne Streichholzdose. Diese Herkunft versteckte man in der jungen sozialistischen Republik, die nach Jahrhunderten von Teilung und Opfer zum ersten Mal ihre polnische Identität feierte, besser ganz unten im schweren Holzkoffer, der, in einer Ecke stehend, bereit war für den nächsten Umzug oder eine Rückkehr in die alte Heimat, eine Zukunft, die nun schon Vergangenheit wurde ohne je Gegenwart geworden zu sein.
Wir fanden Gegenstände, deren Funktion wir nur erraten konnten: ein Rasiermesserschärfer aus Holz mit Lederriemen, den die Tante vielleicht als Andenken an ihren Mann behalten hatte, Zweimillionen-Rubel-Scheine aus Zeiten der Inflation, Essenmarken und Rationsstempelbücher. Nur selten öffneten wir das Fenster auf den noch immer halb verwüsteten jüdischen Friedhof, auf dem wichtige Persönlichkeiten, wie Ferdinand Lassalle und Clara Sachs begraben liegen: In ihren letzten Tagen hatte Olga die Toten aus ihren zerschossenen Gräbern klettern sehen.


In einer anderen Zeit und einer fremden Wohnung spricht nun das leise Summen der Klimaanlagen zu uns. Das neue Haus ist ein gut funktionierender Roboter, den ein eiliger Ingenieur vor fünf Jahren in den Wüstensand gesetzt hat. Beim Einzug mussten wir die Plastikhüllen von neuen Möbeln ziehen. Dicke Vorhänge isolieren den Wohnraum von toten Straßen in gleißendem Sonnenlicht. Von Zeit zu Zeit erzittern die Wände von aufgeregten Kinderfüßen im Obergeschoss. Heute sind wir die Gestrandeten des Zufalls ohne Vergangenheit. Kein Krieg hat uns in die Wüste getrieben, sondern das Geld, Revolutionen im Mittleren Osten, junge Republiken und Zukunft. Unser Gastland feiert seine arabische Identität, die in Zeiten der internationalen Wirtschaftskrisen zum ersten Mal Bedeutung hat, und stellt die ehemaligen Kolonialherren als Entwicklungshelfer ein. Besser, wir lernen Arabisch und vergessen die kalte, klare Dämmerung im Spätherbst, das feuchte Laub unter gelben Straßenlaternen wenn der Winter kommt. Hier ist ewige Glut und immer gleiche Wärme. Wir schwimmen auf einer Oberfläche ohne Gesicht, alles ist Jetzt und Licht und Sommer. Keine Ritzen, die in eine andere Welt führen, und wo die Schatten und Ungeheuer hausen. Wer wird in hundert Jahren unsere Lebensgeschichte wie ein Wunder aus einer anderen Zeit betrachten, unsere digitalen Fotos vor der Auflösung bewahren und unsere Schätze ans Licht fördern, aus einem Hartschalenkoffer?


Sunday, August 28, 2011

Privatstrand


Wie fühlt sich eigentlich das Wasser an im arabischen Golf, der friedlich und türkisfarben an die Kaimauern der Stadt schlägt? Laut Jonny, unserem Taxifahrer aus Bangladesh und Vertrauensmann in Beförderungsangelegenheiten, gibt es einen kleinen öffentlichen Strand neben dem Intercontinentalhotel, den wir heute in der mäßigen Spätnachmittagshitze aufsuchen. Eingezwängt zwischen dem Zaun der Hotelanlage, einer Baustelle für das entstehende Messegelände, und einer hohen Mauer, die wohl eine Wohnanlage schützt, liegt die kleine Bucht aus Geröll und Bauschutt. Endlich haben wir Wasser zu Füßen. Während wir noch die Möglichkeit von giftigem "Stonefish" zwischen den Steinen abwägen und über die Gefahren eines Fußbads nachdenken, nicht zu vergessen die Gefahren des Sitzens im trockenen Sand in Anbetracht der hiesigen Fauna aus Skorpionen und diversen Schlangenarten, nähert sich ein weißer Jeep mit Wappenzeichen rechts und links. Der Mann in Uniform spricht halb Englisch, halb Arabisch. Wir verstehen "Al Thani" (er weist mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung weißes Gemäuer), und "Sejara" (Auto). Könnte es sein, dass unser Mietauto auf dem Grundstück des Emirs, seiner Hoheit bin Khalifa al Thani steht?? Ganz klein mit Hut missverstehen wir seine Frage nach den Autopapieren und zeigen stattdessen unsere Pässe. Der Wächter winkt ab, und wir stolpern möglichst geschwind und unaufgeregt zurück in Richtung Auto. Das fehlte noch, dass die Garde des Monarchen unseren halblegalen, sogenannten internationalen Führerschein zu sehen bekäme...

Männer nach der Arbeit



Indische Männer soweit das Auge reicht, wenn man abends in der "Safari Mall" einkauft. In Trauben umstehen sie den Uhrenstand und elektronische Geräte, die als Preise einer Tombola ausliegen. Sie untersuchen die Qualität von Mikrowellen und Fernsehapparaten, befühlen Teppiche und Handtücher, zerren Bettgarnituren aus ihren Hüllen und stehen Schlange vor dem Geldwechsler. Im Möbelgeschäft testen sie das Sitzen in roten Clubsesseln und schwarzen Lesersofas, immer in Gruppen oder zu zweit. Sie gehen Arm in Arm und kommen scharenweise mit Bussen und vollgestopften Taxis, viele noch in ihren Arbeitsoveralls, Truppen in gelb, blau oder weinrot. Im gesamten Einkaufszentrum vielleicht eine Handvoll Frauen, die einzige Weiße im Umkreis von zwei Meilen: ich, der tausend Augen folgen.

geniale Wasserspeicher


Diesen Freitag verspricht der Wetterbericht kühle 36 Grad Celsius. Zeit für einen Spaziergang zum "Aspire Park" in der Nachbarschaft, ein Sportparadies, erbaut für die panarabischen Spiele im Dezember 2011. Der "Aspire Turm" in Form einer Fackel ist im Umkreis von fünf Meilen sichtbar und guter Wegweiser in den wohlhabenden Al Waab Distrikt. Pools für Frauen, Männer und Familien locken mit olympiareifen Bahnen, doch an diesem Vormittag ist kein Sportler in Sicht, alles stille Einsamkeit zwischen Parkplätzen, mattierten Laufwegen und mit Segeltuch überspannten Sitzanlagen. Unter Akazienbäumen spaziert es sich gut, und siehe da: am Fuß des Turmes scheint sich eine Gruppe Touristen für eine Besichtigung zu rüsten. Ich freue mich über die Gleichgesinnten und nehme mir vor mit ihrer Hilfe auf die Aussichtsplattform aus Stahl und Glas zu gelangen. Allerdings entpuppt sich das Grüppchen beim Näherkommen als indische Arbeiterschaft, die Köpfe bis auf winzige Sehschlitze mit Tüchern umwickelt: Der Turm befindet sich noch im Bau, genauso wie die Wasserspiele und Fontänen, die mir im Reiseführer versprochen wurden.

Hinter dem Turm und der Familien-Schwimmanlage erstreckt sich ein weiter Park, dessen Grün ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem verlangt. Unsichtbare Schläuche gluckern am Wegrand und spenden den ganzen Tag Wasser. Die Gewächshausluft darüber schwül. Irgendwann taucht der Baobab auf, ein richtiger Affenbrotbaum wie aus dem Kinderbuch über Afrika, mit seinem Stamm wie einem Fass, das Feuchtigkeit hält. Ich denke an Kamelhöcker und daran, dass mir so ein Wasserspeicher fehlt, was sich am Flimmern vor den Augen bemerkbar macht. Zwei Rotphasen an der Ampel verursachen Herzrasen, der Weg über die vierspurigen Straßen wird zur Tortur. An den Mauern der bewachten Wohnanlagen hat irgendein Hund seinen Kot gleichmäßig auf dem schmalen Streifen Schatten verteilt, ein abgenagter Knochen, eine Schabe verreckt im Sand, dann habe ich das rettende Tor erreicht und bin dem Hitzekoller für heute entkommen.

Thursday, August 25, 2011

Führerschein

Heute das nächste bürokratische Abenteuer: Führerschein. Auf der Webseite der amerikanischen Botschaft heißt es, man könne mit einem internationalen Führerschein sechs Monate lang in Qatar fahren. In der Autovermietung sagt man uns aber, dieser Führerschein sei nur zwei Wochen gültig, danach brauche man einen temporären katarischen Führerschein, den man ganz einfach, in zwanzig Minuten in jeder Zweigstelle der Automobilbehörde bekomme. In dieser völlig überlaufenen Behörde werden wir von einem uniformierten Beamten abgewimmelt: Internationale Führerscheine seien hier überhaupt nicht anerkannt, wir müssten uns an einer Fahrschule anmelden und die regulären Prüfungen absolvieren...
Zum Glück kümmert sich die Universität um uns: Wir kommen mit einem Mitarbeiter von Human Resources zurück ins Führerscheinamt, absolvieren in zwei Minuten den Augentest, und schon halten wir das Anmeldeformular für den temporären Führerschein in Händen. Leider ist das alles, was an diesem Donnerstag für uns getan werden kann, denn nun geht es in die Endphase des Ramadan, genannt Eid, wo für zehn Tage alle staatlichen Einrichtungen geschlossen bleiben.
Nun könnte ich wieder sarkastisch hinzufügen, dass es hauptsächlich Qataris sind, die von diesen Feiertagen profitieren, während Fabriken, Malls und Restaurants geöffnet bleiben und natürlich von irgendjemandem betrieben werden müssen. Sehr viel Ungerechtigkeit und elitäre Strukturen in diesem Land, und allzu leicht kann man sich über alles und jeden beschweren. Wirklich überraschen tut es mich nicht mehr, dass der Universitätspool nur für Männer gedacht ist, und dass die weibliche Belegschaft von Human Resources, der wir alles was hier bisher gut geklappt hat verdanken, in einem Mini-Cubicle von Büro aufeinander hockt, während sich die Männer, denen man täglich hinterhertelefonieren muss damit eine Kleinigkeit erledigt wird, in einem gläsernen Großraumbüro auf Ledersesseln fletzen. Unsere türkischen Bekannten werden immer frustrierter, weil man von ihnen, die im Pass als Muslime ausgeschrieben sind, eine muslimische Lebensweise verlangt. Zum Beispiel können sie sich nicht für eine Alkohollizenz bewerben, wie die anderen europäischen und amerikanischen Expats, und Safiq wird komisch angeschaut, wenn er nicht mit den anderen zur nächsten Moschee strebt, wenn der Gebetsruf aus Lautsprechern schallt.
Eileen, eine Kalifornierin, die seit sechs Jahren hier lebt, lässt sich trotz allem den Optimismus nicht nehmen. Ihre Wohnung ist ein Meer aus tropischen Pflanzen, mit Riesenaquarium und Schildkröten, Souvenirs aus Afrika, Indien, Ägypten, Thailand. Sie spricht fließend Arabisch, kleidet sich wie es ihr passt, und ist Mitglied im Sportparadies "Aspire," wo es olympische Pools und einen Park mit Wegen zum Joggen gibt. Sie genießt die guten Seiten des Lebens in dieser Ecke der Welt und rät uns das Gleiche zu tun und für den Moment die Zähne zusammenzubeißen...
 Ähm, nächste Frage: Wie kommt eigentlich Post zu uns in einem Land, in dem es keine genauen Adressen und keine Postleitzahlen gibt???