Wednesday, August 31, 2011

Livekonzert

Zwischen der Corniche und dem feierlich angestrahlten Souk ist eine Bühne aufgebaut. Von goldgerahmten Großfotografien lächeln zurückhaltend die Stars des Abends: alle in Dishdashas und weißen Gutras, eine Frau in rotem Schleier ist dabei. Die Kulisse: eine weiße Burgmauer, rosa angestrahlt. Davor bauen die Musiker ihre Instrumente auf: Es sieht so aus, als würde sich das Orchester, bestehend aus Violinen, Cellos, elektrischen Guitarren, Keyboard, Saxophon, und Handtrommeln, auf ein klassisches Konzert vorbereiten. Wie überraschend ist der Effekt, als es unvermittelt losgeht: Der Geigenchor spielt leichtfüßig orientalische Schlangenlinien, das Saxophon wird zur Flöte eines Schlangenbeschwörers, die Trommler sitzen im Schneidersitz und trommeln auf ihrem Schoß, im Hintergrund ein Männerchor, der die Vorgabe des Leadsängers wiederholt. Letzterer ist ein schmaler langgliedriger Mann, der sich aus einiger Entfernung durch nichts von den Musikern unterscheidet. Er ist Teil des Orchesters, und seine Performance besteht aus dezentem Klatschen hin und wieder: Dann schlagen seine flächigen Hände leicht aneinander, nur symbolisch, um dem Publikum zu zeigen: Jetzt bitte Rhythmus klatschen! Die Musik muss von der Beliebtheit und dem Publikum her ein Äquivalent zum deutschen Schlager sein, Ute Freudenberg für Moslems: ganze Familien sind da, von Kleinkindern bis zur Großmutter, verschleierte Frauen und westlich gekleidete Herren, ein paar bunte Saris, hier und da Europäer wie wir. Nach einer halben Stunde kommt Stimmung auf: Anscheinend hat der Sänger ein bekanntes Lied angeschlagen. Es beginnt langsam und traurig, fängt dann an zu hüpfen, mischt ein paar jazzige Sequenzen ein, und siehe da, ein paar junge Männer im Publikum beginnen zu tanzen. Dishdashas  vollführen Bewegungen, die ich vom Bauchtanz wiedererkenne, drehen sich umeinander und beschreiben Wellenlinien mit ihren flachen großen Händen. So fremd sind uns Männer mit Schleier und weißem Kleid, dass ihr Tanz surreal anmutet. Die Verwunderung über den tanzenden E.T. im Film kann nicht größer sein, als unser Staunen bei diesem Anblick. Auf dem Höhepunkt der Stimmung ergänzt der Sänger seine Darbietung um ein bescheidenes Fächeln mit der flachen Hand.

Tuesday, August 30, 2011

Wohnungen mit Charakter

Unser Haus in Wrocław war voll von Gespenstern der Vergangenheit. Durch die Rohre, die das Bad durchzogen, konnte man in den Alltag von alten Frauen und frisch vermählten Paaren in den angrenzenden Wohnzellen hören. Einmal als moderne Errungenschaft des Sozialismus gefeiert, hatte der Plattenbau mit seinen dünnen Wänden und winzigen Zimmern seine besten Jahre hinter sich und bedurfte dringender Renovierung. Den besten Empfang hatte man unter Wasser in der kleinen verbeulten Badewanne, die, wenn man das Wasser zu schnell ablaufen ließ, das winzige Badezimmer überschwemmte. Mit der Wohnung musste man Geduld haben wie mit einer gebrechlichen Alten, die athmete und ihren eigenen Willen besaß: Ein blindes Monokel der Türspion, von einem schlechten Planer innen in die Doppeltür gesetzt. Wenn ich mir die Nase zuhielt und untertauchte, konnte ich hören, wie das Rentnerpaar nebenan Töpfe verrückte und mit den abgenutzten Gegenständen eines langen Lebens hantierte.
Ein Stockwerk tiefer lebte eine alte Dame mit einem kolerischen Dackel, dessen Gebell eines Tages verstummte. Die ehemalige Lehrerin, die hartnäckig ein paar mickrige Pflanzen im Treppenhaus wässerte, war eine gute Freundin der verstorbenen Tante, die noch in unserem Schlafzimmer herumspukte. Olga Okulska war drei Jahre vorher in diesem Zimmer gestorben und hatte eine Wand voller Bilder ihrer verschwundenen Welt hinterlassen. Ein wenig verblasst und mit verschwommenen Gesichtszügen: ihr Mann, der das KZ überlebt und doch vor ihr die Welt verlassen hatte. Sie: erstaunt- besorgten Blickes und noch im Alter mit dickem schwarzen Haar - eine adlige Russin von der Krim, so muss es gewesen sein. Aus irgendeinem Grunde hatte sie aus ihrer Heimat am schwarzen Meer flüchten und im kriegszerstörten Breslau, das gerade Wrocław wurde, ein neues Leben beginnen müssen. Ihr Mann, aus den Lagern entkommen, war hier gelandet wie sie: zwei, die sich in der Not halfen. Als Schlesien polnisch wurde, versteckte die Tante ihren russischen Akzent und vergaß das Deutsch, welches sie unter der Breslauer Verwaltung gelernt hatte. In ihrem Bücherschrank schmiegten sich Volumen in vier Sprachen aneinander, dicke Lederbände mit vergilbten Inschriften, von einer altmodischen Glastür geschützt.
Olga  schlich sich manchmal in die ovalen Schminkspiegel des weißlackierten Trumeau, und  des nachts hörte ich sie in den niedrigsten Frequenzen unseres Kofferradios auf Russisch wispern. "Oдессa", in verblassten Goldlettern unter blauer Küste in einer Glasblase schwimmend, förderten wir aus den Tiefen einer Kommode ans Licht. Souvenirs aus längst vergangener Zeit erinnerten an Abende am Schwarzen Meer, eingraviert in eine silberne Streichholzdose. Diese Herkunft versteckte man in der jungen sozialistischen Republik, die nach Jahrhunderten von Teilung und Opfer zum ersten Mal ihre polnische Identität feierte, besser ganz unten im schweren Holzkoffer, der, in einer Ecke stehend, bereit war für den nächsten Umzug oder eine Rückkehr in die alte Heimat, eine Zukunft, die nun schon Vergangenheit wurde ohne je Gegenwart geworden zu sein.
Wir fanden Gegenstände, deren Funktion wir nur erraten konnten: ein Rasiermesserschärfer aus Holz mit Lederriemen, den die Tante vielleicht als Andenken an ihren Mann behalten hatte, Zweimillionen-Rubel-Scheine aus Zeiten der Inflation, Essenmarken und Rationsstempelbücher. Nur selten öffneten wir das Fenster auf den noch immer halb verwüsteten jüdischen Friedhof, auf dem wichtige Persönlichkeiten, wie Ferdinand Lassalle und Clara Sachs begraben liegen: In ihren letzten Tagen hatte Olga die Toten aus ihren zerschossenen Gräbern klettern sehen.


In einer anderen Zeit und einer fremden Wohnung spricht nun das leise Summen der Klimaanlagen zu uns. Das neue Haus ist ein gut funktionierender Roboter, den ein eiliger Ingenieur vor fünf Jahren in den Wüstensand gesetzt hat. Beim Einzug mussten wir die Plastikhüllen von neuen Möbeln ziehen. Dicke Vorhänge isolieren den Wohnraum von toten Straßen in gleißendem Sonnenlicht. Von Zeit zu Zeit erzittern die Wände von aufgeregten Kinderfüßen im Obergeschoss. Heute sind wir die Gestrandeten des Zufalls ohne Vergangenheit. Kein Krieg hat uns in die Wüste getrieben, sondern das Geld, Revolutionen im Mittleren Osten, junge Republiken und Zukunft. Unser Gastland feiert seine arabische Identität, die in Zeiten der internationalen Wirtschaftskrisen zum ersten Mal Bedeutung hat, und stellt die ehemaligen Kolonialherren als Entwicklungshelfer ein. Besser, wir lernen Arabisch und vergessen die kalte, klare Dämmerung im Spätherbst, das feuchte Laub unter gelben Straßenlaternen wenn der Winter kommt. Hier ist ewige Glut und immer gleiche Wärme. Wir schwimmen auf einer Oberfläche ohne Gesicht, alles ist Jetzt und Licht und Sommer. Keine Ritzen, die in eine andere Welt führen, und wo die Schatten und Ungeheuer hausen. Wer wird in hundert Jahren unsere Lebensgeschichte wie ein Wunder aus einer anderen Zeit betrachten, unsere digitalen Fotos vor der Auflösung bewahren und unsere Schätze ans Licht fördern, aus einem Hartschalenkoffer?


Sunday, August 28, 2011

Privatstrand


Wie fühlt sich eigentlich das Wasser an im arabischen Golf, der friedlich und türkisfarben an die Kaimauern der Stadt schlägt? Laut Jonny, unserem Taxifahrer aus Bangladesh und Vertrauensmann in Beförderungsangelegenheiten, gibt es einen kleinen öffentlichen Strand neben dem Intercontinentalhotel, den wir heute in der mäßigen Spätnachmittagshitze aufsuchen. Eingezwängt zwischen dem Zaun der Hotelanlage, einer Baustelle für das entstehende Messegelände, und einer hohen Mauer, die wohl eine Wohnanlage schützt, liegt die kleine Bucht aus Geröll und Bauschutt. Endlich haben wir Wasser zu Füßen. Während wir noch die Möglichkeit von giftigem "Stonefish" zwischen den Steinen abwägen und über die Gefahren eines Fußbads nachdenken, nicht zu vergessen die Gefahren des Sitzens im trockenen Sand in Anbetracht der hiesigen Fauna aus Skorpionen und diversen Schlangenarten, nähert sich ein weißer Jeep mit Wappenzeichen rechts und links. Der Mann in Uniform spricht halb Englisch, halb Arabisch. Wir verstehen "Al Thani" (er weist mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung weißes Gemäuer), und "Sejara" (Auto). Könnte es sein, dass unser Mietauto auf dem Grundstück des Emirs, seiner Hoheit bin Khalifa al Thani steht?? Ganz klein mit Hut missverstehen wir seine Frage nach den Autopapieren und zeigen stattdessen unsere Pässe. Der Wächter winkt ab, und wir stolpern möglichst geschwind und unaufgeregt zurück in Richtung Auto. Das fehlte noch, dass die Garde des Monarchen unseren halblegalen, sogenannten internationalen Führerschein zu sehen bekäme...

Männer nach der Arbeit



Indische Männer soweit das Auge reicht, wenn man abends in der "Safari Mall" einkauft. In Trauben umstehen sie den Uhrenstand und elektronische Geräte, die als Preise einer Tombola ausliegen. Sie untersuchen die Qualität von Mikrowellen und Fernsehapparaten, befühlen Teppiche und Handtücher, zerren Bettgarnituren aus ihren Hüllen und stehen Schlange vor dem Geldwechsler. Im Möbelgeschäft testen sie das Sitzen in roten Clubsesseln und schwarzen Lesersofas, immer in Gruppen oder zu zweit. Sie gehen Arm in Arm und kommen scharenweise mit Bussen und vollgestopften Taxis, viele noch in ihren Arbeitsoveralls, Truppen in gelb, blau oder weinrot. Im gesamten Einkaufszentrum vielleicht eine Handvoll Frauen, die einzige Weiße im Umkreis von zwei Meilen: ich, der tausend Augen folgen.

geniale Wasserspeicher


Diesen Freitag verspricht der Wetterbericht kühle 36 Grad Celsius. Zeit für einen Spaziergang zum "Aspire Park" in der Nachbarschaft, ein Sportparadies, erbaut für die panarabischen Spiele im Dezember 2011. Der "Aspire Turm" in Form einer Fackel ist im Umkreis von fünf Meilen sichtbar und guter Wegweiser in den wohlhabenden Al Waab Distrikt. Pools für Frauen, Männer und Familien locken mit olympiareifen Bahnen, doch an diesem Vormittag ist kein Sportler in Sicht, alles stille Einsamkeit zwischen Parkplätzen, mattierten Laufwegen und mit Segeltuch überspannten Sitzanlagen. Unter Akazienbäumen spaziert es sich gut, und siehe da: am Fuß des Turmes scheint sich eine Gruppe Touristen für eine Besichtigung zu rüsten. Ich freue mich über die Gleichgesinnten und nehme mir vor mit ihrer Hilfe auf die Aussichtsplattform aus Stahl und Glas zu gelangen. Allerdings entpuppt sich das Grüppchen beim Näherkommen als indische Arbeiterschaft, die Köpfe bis auf winzige Sehschlitze mit Tüchern umwickelt: Der Turm befindet sich noch im Bau, genauso wie die Wasserspiele und Fontänen, die mir im Reiseführer versprochen wurden.

Hinter dem Turm und der Familien-Schwimmanlage erstreckt sich ein weiter Park, dessen Grün ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem verlangt. Unsichtbare Schläuche gluckern am Wegrand und spenden den ganzen Tag Wasser. Die Gewächshausluft darüber schwül. Irgendwann taucht der Baobab auf, ein richtiger Affenbrotbaum wie aus dem Kinderbuch über Afrika, mit seinem Stamm wie einem Fass, das Feuchtigkeit hält. Ich denke an Kamelhöcker und daran, dass mir so ein Wasserspeicher fehlt, was sich am Flimmern vor den Augen bemerkbar macht. Zwei Rotphasen an der Ampel verursachen Herzrasen, der Weg über die vierspurigen Straßen wird zur Tortur. An den Mauern der bewachten Wohnanlagen hat irgendein Hund seinen Kot gleichmäßig auf dem schmalen Streifen Schatten verteilt, ein abgenagter Knochen, eine Schabe verreckt im Sand, dann habe ich das rettende Tor erreicht und bin dem Hitzekoller für heute entkommen.

Thursday, August 25, 2011

Führerschein

Heute das nächste bürokratische Abenteuer: Führerschein. Auf der Webseite der amerikanischen Botschaft heißt es, man könne mit einem internationalen Führerschein sechs Monate lang in Qatar fahren. In der Autovermietung sagt man uns aber, dieser Führerschein sei nur zwei Wochen gültig, danach brauche man einen temporären katarischen Führerschein, den man ganz einfach, in zwanzig Minuten in jeder Zweigstelle der Automobilbehörde bekomme. In dieser völlig überlaufenen Behörde werden wir von einem uniformierten Beamten abgewimmelt: Internationale Führerscheine seien hier überhaupt nicht anerkannt, wir müssten uns an einer Fahrschule anmelden und die regulären Prüfungen absolvieren...
Zum Glück kümmert sich die Universität um uns: Wir kommen mit einem Mitarbeiter von Human Resources zurück ins Führerscheinamt, absolvieren in zwei Minuten den Augentest, und schon halten wir das Anmeldeformular für den temporären Führerschein in Händen. Leider ist das alles, was an diesem Donnerstag für uns getan werden kann, denn nun geht es in die Endphase des Ramadan, genannt Eid, wo für zehn Tage alle staatlichen Einrichtungen geschlossen bleiben.
Nun könnte ich wieder sarkastisch hinzufügen, dass es hauptsächlich Qataris sind, die von diesen Feiertagen profitieren, während Fabriken, Malls und Restaurants geöffnet bleiben und natürlich von irgendjemandem betrieben werden müssen. Sehr viel Ungerechtigkeit und elitäre Strukturen in diesem Land, und allzu leicht kann man sich über alles und jeden beschweren. Wirklich überraschen tut es mich nicht mehr, dass der Universitätspool nur für Männer gedacht ist, und dass die weibliche Belegschaft von Human Resources, der wir alles was hier bisher gut geklappt hat verdanken, in einem Mini-Cubicle von Büro aufeinander hockt, während sich die Männer, denen man täglich hinterhertelefonieren muss damit eine Kleinigkeit erledigt wird, in einem gläsernen Großraumbüro auf Ledersesseln fletzen. Unsere türkischen Bekannten werden immer frustrierter, weil man von ihnen, die im Pass als Muslime ausgeschrieben sind, eine muslimische Lebensweise verlangt. Zum Beispiel können sie sich nicht für eine Alkohollizenz bewerben, wie die anderen europäischen und amerikanischen Expats, und Safiq wird komisch angeschaut, wenn er nicht mit den anderen zur nächsten Moschee strebt, wenn der Gebetsruf aus Lautsprechern schallt.
Eileen, eine Kalifornierin, die seit sechs Jahren hier lebt, lässt sich trotz allem den Optimismus nicht nehmen. Ihre Wohnung ist ein Meer aus tropischen Pflanzen, mit Riesenaquarium und Schildkröten, Souvenirs aus Afrika, Indien, Ägypten, Thailand. Sie spricht fließend Arabisch, kleidet sich wie es ihr passt, und ist Mitglied im Sportparadies "Aspire," wo es olympische Pools und einen Park mit Wegen zum Joggen gibt. Sie genießt die guten Seiten des Lebens in dieser Ecke der Welt und rät uns das Gleiche zu tun und für den Moment die Zähne zusammenzubeißen...
 Ähm, nächste Frage: Wie kommt eigentlich Post zu uns in einem Land, in dem es keine genauen Adressen und keine Postleitzahlen gibt???

Wednesday, August 24, 2011

Gesundheitsbehörde

Schon im alten Ägypten baute man nur mit dem Blutschweiß Tausender monumental, und Sklavendienste haben auch in der arabischen Welt eine lange Tradition. Ein realistischeres Bild vom Aufbau Qatars, als es die enthusiastischen Plakate und die "Think." Kampagne an den Straßenrändern abgeben, bekommt man beim Gesundheitscheck, der für alle Einwanderer obligatorisch ist. Der Fortschritt am Golf hat nämlich seinen Preis. Ähnlich wie das Wirtschaftswunder in Deutschland einmal nur mit Arbeitsmigranten funktionierte, so gibt es hier eine Unterklasse, die die High Tech Entwicklung des jungen Landes mit Muskelkraft antreibt. Die Bauarbeiter, Haushaltshilfen, Putzer, Träger, Fahrer kommen aus ganz Kleinasien und Ostafrika, ein buntes Völkergemisch in verschiedensten Gewändern und Kopfbedeckungen. In der Gesundheitsbehörde am Stadtrand von Doha treffen sie aufeinander. Man sitzt geduldig im überfüllten Warteraum und versagt sich jeden Tropfen Wasser - Fastenzeit! Jeder muss eine Blutprobe abgeben und sich vor einen Röntgenapparat stellen, bevor er das  Gastarbeitervisum erhält.
Die Behörde ähnelt einem Durchgangslager, in dem Männer und Frauen erst voneinander getrennt werden, dann jeder eine Nummer und einen Scancode erhält, der gewährleisten soll, dass später der richtige Mensch zu jeder Blutprobe passt. Während es in der Männerabteilung einen "VIP" Bereich für nicht-Arbeiter gibt: Businessleute und Uni-Angestellte, sitzen wir "QU Frauen" vier Stunden lang in einem Wirrwar von Stimmen, Farben, Gerüchen. Vor uns eine Stewardessen Gruppe aus Thailand oder Indonesien. Im Halbminutentakt  landen wir zuerst bei der Blutabnahme, durchgeführt von Einwanderinnen, die sich nun ihren gerade aus Übersee eingetroffenen Landsleuten gegenüber wie Kameltreiber verhalten. Besonders die unterste Gruppe "Housemaids" wird angeherrscht und herumgeschubst. Die beiden Frauen mit den Spritzen reißen lauthals Witze, während sie ihre Arbeit ausführen, wie routinierte Metzger in einer Großschlachterei. Zum Röntgen werden im Eiltempo Kittelschürzen ausgeteilt, und Umkleidekabinen am besten gleich zu dritt belegt. Ohne Sicherheitsabstand baut sich die Schlange hinter dem Röntgenapparat auf, und sehr rasch sind wir auf einmal fertig und halten das abgestempelte Gesundheitszeugnis in der Hand - pünktlich um ein Uhr, denn nun ist die verkürtzte Ramadan-Schicht beendet!


Über die Gruppe von Housemaids musste ich noch lange nachdenken. Besonders im Ramadan, so schreibt die englischsprachige Zeitung, entlaufen viele Haushaltshilfen (= Sklavinnen) ihren Arbeitgebern. Wegen der nächtlichen Feierlichkeiten und Iftar-Essen seien sie überarbeitet und bekämen zu wenig Schlaf. Auf einer anderen Seite wird über die Iftar-Essenspakete berichtet, die die Moscheen zur Zeit an Bedürftige austeilen. "Bedürftige," das sind die Arbeiter in den Industriegebieten, deren reguläre Mahlzeiten zu nährstoffarm sind, um es gesund über die Fastenzeit zu schaffen...

Monday, August 22, 2011

im Kultusministerium


Im Kultusministerium sitzt tatsächlich eine Frau mit Klebezetteln an einem Tisch im hintersten Zimmer vierter Stock und markiert problematische Stellen in Büchern und Zeitschriften, die aus Übersee eintreffen. Neben ihr liegen Stapel von Büchern, von "The Guitar Bible" über das Journal "Foreign Affairs" bis zum Kinderbuch über Atomenergie. Die rundliche Dame ist sehr freundlich und erklärt, warum in den letzten zehn Tagen des Ramadan bürokratische Besorgungen besonders lange dauern, und man nie genau weiß, ob und wann etwas erledigt wird: Nach dem Iftar- Mahl nach Sonnenuntergang gibt es nun drei lange Nachtgebete, und man isst das letzte Mal um 2 Uhr früh, bevor das Tagfasten losgeht. Viele Muslime sind einfach übermüdet und zu schwach zum arbeiten, aber, so sagt sie, mittlerweile seien fünf Arbeitsstunden auch im Ramadan üblich, zwei Stunden mehr als im letzten Jahr. Das erklärt natürlich die apathische Stimmung in der Administration, die auch ihr Gutes hat. Meine DVD-Sammlung wurde glatt übersehen. Für Ulrich Seidl hätte die Dame von der Zensur bestimmt keine Nerven gehabt...

kleiner Zauberer


Der kleine Christo kann zaubern: Für ihn wird der  hennagefärbte Rotbart, dessen Aufgabe es ist die Nassfüßer aus der Lobby zu vertreiben und mit dröhnender Stimme dem Kinderlärm Einhalt zu gebieten, so weich wie türkischer Honig. Auf der Straße lüften gänzlich vermummte Frauen vor einem wildfremden Mann die Gesichtsmaske, nur um dem Baby auf seinem Arm eine Grimasse zu schneiden.

Sunday, August 21, 2011

Science Idol

"Wenn man im Westen eine verschleierte Frau sieht, meint man gleich sie könne nicht denken. Traditionsbewusstsein und Intelligenz kann man sich einfach nicht zusammen vorstellen," sagt eine ägyptische Teilnehmerin am Fernsehwettbewerb "Science Idol," der namentlich nicht von ungefähr dem populären "American Idol" ähnelt. Das Programm soll junge arabische Wissenschaftler verschiedenster Länder im Wettbewerb zusammenbringen, um der Welt zu zeigen, dass man keineswegs mehr zur dritten, sondern zur ersten Welt gezählt werden möchte, so der katarische Moderator. Die Teilnehmer kommen aus liberaleren Ländern wie dem Lebanon, oder eben aus Saudi Arabien, wo Frauen als biologisch minderbemittelt gelten. Letzteres lässt ein nach außen hin wie Oxford gekleideter saudischer Teilnehmer auch durchblicken, während in der Dokumentation zur Show neben ihm  eine kesse Lebanesin an ihrer Erfindung bastelt.
Eröffnet wird die Sendung mit einer akrobatischen Nummer, in der Tänzer aus aller Welt auf riesigen Bildschirmen herumklettern. Und was ist die Show auch anderes als eine riesige Projektionsfläche für die Hoffnungen und Träume eines ganzen Erdteils? Alles Denken hier ist auf die Zukunft gerichtet, auf ein Luftbild, dem die Dimension der Tiefe und Vergangenheit fehlt. Doch der Glaube trägt. Inzwischen baut man Straßen durch die Wüste, obwohl der Beduine sagt, durch die Wüste wie durchs Meer lassen sich keine festen Wege anlegen. Und wie: Schon ist eine Autobahn zum Inselstaat Bahrain in Planung, zweihundert Kilometer Brücke und aufgeschüttetes Land durch den persischen Golf.


Wer übers Wasser läuft, verwandelt auch Wasser zu Wein und macht aus der Wüste einen blühenden Garten - oder?! Mit weit aufgerissenen Augen schwärmt der Moderator von "Science Idol:" "Der Westen hat seine Wissenschaften ursprünglich aus dem Orient, und so wird es wieder werden. Wir sind dabei die Weltspitze zu erobern!"

Souk Waqif


Der "stehende Markt" von Doha ist in ein märchenhaftes Labyrinth aus Lehmgemäuer und Balkenwerk gepflanzt. An der Stelle der heutigen Touristenattraktion befand sich noch vor kurzem ein heruntergekommener Markt aus Bretterbuden und Schotterstraßen, an den ein Bild am Eingang erinnert. Mit der Regierungszeit des Scheich Hamid bin Khalifa Al Thani wurden um die Jahrtausendwende umfassende Entwicklungsprojekte angestoßen, die unter anderem den Wirtschaftszweig Tourismus ausbauen sollen. Man versucht zum Beispiel Sportgroßveranstaltungen in die Stadt zu ziehen, um dem kleinen Land ein internationales Gesicht zu geben. Fünf Sterne Hotels schießen aus dem Boden wie Pilze an lauwarmen Herbsttagen, Kräne greifen in jeden Horizont. Man kann der Skyline beim Wachsen zuschauen, während im Souk die Beduinen wie in alten Zeiten in langen Roben und zerfetzten Turbanen auf ihren Karren hocken. Sie verharren wohl den ganzen Tag in dieser Position und beäugen die Englisch sprechenden Touristen wie Wesen von einem anderen Stern. Angeboten werden Nüsse und Süßigkeiten, Gewürze und Stoffe, Kunsthandwerk und Gold, aber auch Kleidung aus Indien, Metalltöpfe und Möbel. Was es zum Glück NICHT gibt: elektronisch bellende Aufziehhündchen, durch die Luft kreisende Plastikinsekten und sprechende Puppen. Auf dem Tiermarkt herrscht auch an einem wenig belebten Tag buntes Treiben: Jungen in Dishdashas und Gutras umstehen Welpen und Papageien, ein Haufen Küken leuchtet neonfarben, als wäre er aus bunten Ostereiern geschlüpft. Überall kann man auf rotgemusterten Decken und Kissen Shisha rauchen und gewürzten Kaffee trinken, persisch oder arabisch essen, handeln und plaudern.

Saturday, August 20, 2011

Jungs und Mädchen

Im Dämmerzustand lasse ich mich von Kindersendungen im arabischen Fernsehen berieseln: Ob Spongebob oder japanische Mangas, alles ist mir recht, was man so gut wie ohne Worte versteht. Eine Talkshow versammelt kleine Jungs um einen jungen Mann in rotkarierter Gutra, der traditionellen Kopfbedeckung der Wahabis. Zwar verstehe ich kein Wort, aber die Kinder sprechen so überzeugend wie kleine Politiker, gestikulieren wie Erwachsene und blicken, wenn sie besonders weise gesprochen haben, triumphierend in die Kamera. So jung, und schon so überzeugt von ihrer Wichtigkeit! Kleine, verwöhnte Walad sind es auch, die im Supermarkt ständig brüllen, wenn ihnen ein Zuckerkringel versagt wird. Lieber sind mir da die spindeldünnen Bent, die sich das Geschrei ihrer pummeligen Brüder gelassen anhören, und gelegentlich eine Kopfnuss austeilen...

Sonnenstich


Schlimmer als Durst in der Wüste ist die menschenleere Einkaufswelt rund um die "Perle" im West Bay an einem Ramadan-Freitag. "The Pearl" ist eine aufgeschüttete Insel, die der Form nach an eine Auster erinnert, und damit an die Zeit der Perlenfischerei, des wichtigsten Wirtschaftszweiges vor der Entdeckung von Öl und Gas unter dem Meeresgrund. Luxuswohnanlagen und Nobelmalls blicken auf einen nagelneuen Yachthafen, umstanden von einsamen Bänken und Palmen, die schmale Schatten werfen. Unbewegliche Stille über allem, eine Geisterstadt ohne Geist. Die Luft flimmert, von den Wänden lächeln stark geschminkte Europäerinnen und Philippinos, die einen ungemeinen Spaß am Einkaufen zu haben scheinen. Verheissungsvoll deuten sie auf Schaufenster und Boutiqueneingänge. Ich komme mir vor wie ein Archäologe in einem ägyptischen Grabmal, zu dem die Hieroglyphen zu sprechen beginnen: Eine Brünette in rosa Pünktchenkleid hat offenbar einen Gehfehler, eine Italienerin täuscht einen Orgasmus vor, während sie vier Einkaufstüten durch die Luft schwenkt, eine New Yorkerin begutachtet ein Schaufenster, in dem sich kahle Herbstbäume spiegeln. Der Weg aus den tiefgekühlten Kaufhauspassagen mit ihren einsam vor sich hin plätschernden Springbrunnen wird immer schwieriger. Die geschlossene Eisdiele, durch deren Glasfassaden man Waffeltürme und glänzende Zapfhähne sieht, wird zur Fata Morgana. Hier noch eine Treppe über türkisfarbenem Kanal, dort noch ein paar Stufen in den rettenden Schatten, die gleichen Werbegesichter überall, und ein Sonnenstich beginnt sich in meine Schläfen zu fressen.

Friday, August 19, 2011

Taxifahrer


Aus Südindien und Bangladesh unsere Taxifahrer, meist seit etwa drei Jahren hier, seitdem das Land in einen rasanten Strudel der Globalisierung gezogen wurde. Ihre Begeisterung für Qatar hält sich in Grenzen, sind sie doch immer nur auf der Durchreise in eine bessere Zukunft: Dubai zum Beispiel. Ein Fahrer aus Uganda spricht ganz Heimweh vom Wetter zu Hause, wo es nie so heiß wird wie hier. Er ist erst vor zwei Monaten aus dem Irak gekommen und meint, hier sei es ganz "crazy:" Besonders die privilegierten Staatsbürger seien verrückt auf den Straßen: "diese Typen in weiß." (Mit der Linken zeichnet er einen Heiligenschein über seiner Stirn.) Naja, letztendlich ist es eben ihr Land, und die dicksten Autos haben sie auch... Ein anderer Fahrer aus Sri Lanka kann mit dem Bautempo für neuen Wohnraum nicht mithalten und braucht eine Wegbeschreibung in unsere Nachbarschaft. Er klagt über den anbrechenden Herbst und meint, er gehe ab Oktober ungern aus dem Haus, da bräuchte man schon Winterjacken. --- Nein, einen Scherz hat er eigentlich nicht gemacht. Unsicher schaut er in den Rückspiegel und bestaunt das Gelächter auf den hinteren Sitzen.

schlechtes Englisch


Es ist schon eine bunte Truppe, die sich als Faculty an der Qatar University versammelt, und zwar in allen Positionen: vom freischaffenden Lecturer bis hin zum Assistant Professor. Ersteren steht ein Apartment in 17km Uni-Entfernung zu, letzteren eine Villa mit 9km Anfahrtsweg. Ansonsten sind wir in unserer Fremdheit identisch, dabei so verschieden, wie es nur geht, ein skurriler Menschenschlag, der sich entschieden hat in einen Weltzipfel zu ziehen, so widersprüchlich wie der Mensch selber:
Henry ist vor vielen Jahren aus dem Corporate Law Geschäft ausgestiegen und nach Vietnam gegangen, das Land seiner Träume, um dort Jura zu unterrichten. Dieses Jahr lebt er mit seiner vietnamesischen Frau, deren Mutter, dem achtmonatigen Christo, sowie einer Haushälterin im Villenkomplex, Uni-gesponsert. Der Mann, der ihn angeheuert hat, ist selbst Kanadier aus dem Iran und arbeitet erst seit zwei Monaten für die Uni. Das Bewerbungsgespräch wurde zwischen Florida und Vietnam geschaltet. Jetzt stehen sowohl der Chef, als auch der Angestellte zum ersten Mal auf dem Campus, der an allen Ecken wächst, nach außen hin immer bombastischer werdend, dank indischer Handarbeit in glühenden Staubwolken.
Bashak ist mit ihrem Mann vor 15 Jahren aus der Türkei ausgewandert und hat seitdem im frankophonen Kanada gelebt. Sie soll nun als nicht praktizierende Muslimin Frauen- und Männerklassen in islamischer Geschichte unterrichten. Der gemeinsame Sohn spricht besser Französisch als Türkisch, und wird ab dem 11. September in eine englischsprachige Schule gehen. Ihr Mann versucht seit Tagen mit seinem schlechten Englisch ein Auto zu mieten, versteht das schlechte Englisch der Mietfirma aber nicht und hat deshalb unseren Hausverwalter gebeten, das Telefonat auf Arabisch zu führen. Dieser Pakistaner, so stellt sich heraus, kann widerum nur auf sein schlechtes Englisch zurückgreifen...  Gesucht seitdem immernoch: fahrbarer Untersatz zwischen Al Suhoor und Education City!

Thursday, August 18, 2011

Villaggio Mall

Die Villagio Mall ist ein kleines Disney- Venedig, mit hübschen pastellfarbenen Häuserfassaden und einem gemalten Himmel an der Decke. Wir haben unseren Spaß daran, die internationalen Ketten der Parfüm- und Bekleidungsstores in arabischer Schrift zu erkennen: der unvermeidliche "Makdonalds," "Radioshack," "Colors and Beauty," oder "Caran d'ache," auf Russisch würde ich sagen "Bleistift," hier französisch neugeschöpft, eine schweizerische Luxuxkette in arabischer Lautschrift noch einmal verfremdet.
Auf Werbetafeln wirbt ein Telefonanbieter: "Im Ramadan hören die Geschichten nicht auf"- gezeigt wird eine blauverschleierte Dame mit Handy, die im Stil von 1001 Nacht auf reich verzierten Kissen gebettet und von exotischem Flitter aus Alladins Lampe umgeben ist. Mobilfunkfirmen werben für die enorme Reichweite ihrer Netze, indem sie Männer unter sich, in den abgeschiedenen Reichen ihrer Shisha Salons zeigen, nach dem Motto: "Jetzt kann die Ehefrau ihren Mann bis in die verbotenen Tiefen der Rauchstuben folgen!" Oder ein Plakat, auf dem eine Gruppe Qataris mit Jeep in der Wüste sitzt, und die Männer locker ihre Telefone zücken...

Nicht nur wegen der angenehm klimatisierten Luft verbringen wir so viel Zeit in der Mall, sondern auch weil wir zu einer unmöglichen Stunde angekommen sind: Vier Uhr nachmittags sind alle Geschäfte geschlossen, weil die regulären Öffnungszeiten im Ramadan vier Stunden am frühen Morgen, und vier Stunden am späten Abend zum Einkaufen vorsehen. Je verbotener das Essen und Trinken, desto hungriger und durstiger werden wir. Die Kellner von Friday's und den italienischen Bäckereien stehen bereit und schauen hungrigen Passanten nach: zu gern würden sie uns etwas verkaufen. Ich frage mich, wie viel Geschäft so ein religiöses Fest, das sich gleich über einen ganzen Monat erstreckt, eigentlich verdirbt. Während man im Carrefour bunt verpackte Waren in den Wagen gleiten lässt, ertönt im Kaufhausradio Gebetsgesang. Er erinnert den Konsumenten daran, dass es auch noch einen anderen Gott neben dem Geld gibt. Punkt 19 Uhr, nach beendetem Gebet, füllt sich die Mall.  Abayas und Dishdashas strömen in die Gassen auf beiden Seiten der künstlich-blauen Kanäle, wo sich die Gondoliere  auf Kundschaft einstellen.

Wednesday, August 17, 2011

Ladies Day


Heute ist "Ladies Day" am Pool, was heißen soll, dass nur Frauen in die Badeanlage kommen. Unter uns Expats wird spekuliert: Heißt das, dass Frauen NUR am Mittwoch baden dürfen? Bisher hat niemand je eine Frau im Wasser gesehen, und wir warten alle auf ein repräsentatives Beispiel, dessen Dresscode wir ruhigen Gewissens imitieren können. Am ersten Abend hatte ich nur eine komplett Vermummte, im schwarzen Abaya und Gesichtsschleier, am Poolrand gesehen und meinen Bikini lieber stecken lassen. Vielleicht ist "Ladies Day" ein angemessener Anlass für das Wagnis bloßer Haut?

Wüstenstaub


Der Wüstenstaub beschäftigt hier Massen von Indern, die in blauen Kitteln, mit Schirmmützen und Mundschutz unter Bäumen sitzen, die Glasoberflächen der Banken und Hotels putzen, Fenster polieren. Mit jedem Schritt, jedem Windhauch droht die Wüste sich ihren Teil Erdoberfläche zurückzuerobern. Der Sand dringt in jede Ritze, ist fein wie Brei. Der Tag wird heiß wie eine trockene finnische Sauna, unterste Stufe um neun Uhr morgens; bis Mittag klettert man auf die Bank der Mutigen.

die erste von 1001 Nächten

Es gibt Fotos vom Kernkraftwerk in Tschernobyl, kurz nach der Katastrophe aufgenommen. Auf dem Dach des Reaktors: Staub bedeckt Zivilisationsfetzen. Die Fotografen riskierten ihr Leben mit diesen Bildern. Die Strahlung ist noch negativ im Bild zu spüren. Dreißig Jahre später betrete ich wie der erste Mensch das Dach der steinernen Festung, die nun unser Zuhause sein soll, ein Überlebender des brüllenden Tagfeuers. Hier zeugt eine liegengebliebene Schubkarre, eine leere Zigarettenschachtel von Leben. Unten kommen Väter und Söhne im SUV aus der Moschee. Schlanke Katzen schleichen um die Häuser, staubiges Knorrgewächs zwischen geweißten Mauern. Flutlicht macht die Wohnanlage taghell. In dieses Bild hereingerutscht aus einer anderen Welt, der Tourist mit seiner Kamera.