Wednesday, November 30, 2011

Heimweh sitzt im Magen


Neuerdings wird mir meine deutsche Identität von ganz unerwarteter Seite klargemacht: Mein Magen bestreikt ganz unmissverständlich die arabischen und indischen Curry- und Fischgerichte. Sogar um meinen geliebten Hommus, die leckeren Knoblauch-Auberginendips, Oliven und eingelegte Weinblätter muss ich einen Bogen machen. An den Kardamon- und Muskatbergen im Supermarkt halte ich mir die Nase zu, suche stattdessen verzweifelt nach Dill und Bohnenkraut. Vor dem Einschlafen träume ich von Omas grüne-Bohnen-Eintopf, von frischen Waldpilzen in Gulaschsoße, von Kartoffelklößen mit Rot- und Grünkohl, von Hühnerfrikassee und Königsberger Klopsen. Mir fällt auf, dass es in Doha zwar jede Menge indischer, türkischer, thailändischer, philippinischer, japanischer, chinesischer, sogar vietnamesischer und amerikanischer Restaurants gibt; aber nirgends einen Platz den Heißhunger auf Kartoffelsuppe zu stillen! Das ist eine Marktlücke, die ich sofort für mich beanspruchen würde, hätte ich auch nur einen Ansatz von Kochkünsten. Ich ertappe mich dabei, wie ich Rezepte für schwäbische Hefebrezeln abschreibe und bei Hausfrauengesprächen über Lauchtorte und Speckbohnen die Ohren spitze. Wenn der nächtliche Appetit ganz groß wird, schleiche ich mich zum Kühlschrank, aus dem mir ein schnödes Fladenbrot nebst Halloumi- Käse zuwinkt: Schnell zumachen.



Tuesday, November 29, 2011

ein deutscher Advent

"Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!" Die deutsche Gemeinde veranstaltet einen Adventsbasar und hat zum Weihnachtsoratorium von Bach geladen. An diesem Nachmittag platzt die kleine Schule aus allen Nähten: Zwar gehen sich Deutsche im Ausland eher aus dem Weg, wenn es aber um zünftige Weihnachtsemütlichkeit geht, rückt man eng um die Adventskränze zusammen. Einen besonderen Zauber haben die Vorbereitungen auf das Fest hier, wo außerhalb der deutschen Räumlichkeiten nichts auf die Weihnachtszeit hinweist, und wo man in den Läden allerhöchstens den auf europäischen Grabbeltischen liegengebliebenen Nippes vom letzten Jahr kaufen kann. Während eine deutsche Weihnachtsfeier in den USA am Ende immer nur auf ein amerikanisches x-mas hinausläuft, hat man hier selbstgebastelt und improvisiert, aus Deutschland eingeschmuggelt oder sündhaft teuer eingekauft. Die Stimmung ist feierlich, der Stollen echt, Räuchermännchen rauchen indisches Sandelholz, und grüne Bastgirlanden simulieren Tannengrün.
Das winzige Kammerorchester beginnt, ein energetischer Dirigent schlägt dazu den Takt, und der kleine Chor setzt erstaunlich kräftig ein. Die Sänger wissen, im Radius von zweitausend Meilen müssen sie das deutscheste aller Feste hochhalten. Ihr Konzert schlägt ein wie eine Kulturbombe in der Wüste, umstanden von den bunten Familien der Auswanderer, die ihre afrikanischen, singapurischen, arabischen und türkischen Freunde mitgebracht haben. Die indischen Putzer haben ihre Besen weggestellt und lauschen andächtig, und auf einmal wird mir klar, warum Schlingensief ein Operndorf in Burkina Faso baut, und warum Fitzcarraldo seinen Caruso in den Amazonas schifft: Die Musik ist bestechend friedlich und verbreitet Hoffnung in dieser staubigen Gegend.
Nach tosendem Applaus ist die Stimmung so gelöst, dass ich mich dazu hinreißen lasse, den kleinen Geschäftsleuten an ihren Bastelständen ein paar überteuerte Papiersterne und windschiefe Kerzenständer abzukaufen. Die kleinen Handwerker zählen ihre Scheine und grinsen: "Frohes Fest!"

Wednesday, November 23, 2011

Al Khor

Einen friedlichen Feiertagsspaziergang macht man besser in der kleinen Hafenstadt Al Khor, als im chronisch überfüllten Doha, wo am Freitagnachmittag alle zugleich zur Corniche oder auf den Souk strömen. Al Khor im Norden von Qatar hat im Stadtzentrum eine große weiße Moschee, blinkende Elektronikgeschäfte, fettige indische Kantinen, einen von Arbeitern belagerten Busbahnhof und ein paar zertetene Grünanlagen. Man kann das Auto abstellen und vom Stadtzentrum bis an die Strandpromenade spazieren.
Das haben an diesem freien Tag auch ungefähr eine Million Inder aus den umliegenden Arbeitersiedlungen vor. Trotzdem ist die Stimmung friedlich und faul: Man sitzt auf warmem Beton und schaut auf die friedliche See, hinter deren diesigem Horizont man irgendwo zu Hause ist. Jeder zweite hat sich einen Bindfaden ums Handgelenk gewickelt. Das andere Ende mit einem Stein beschwert und ins Wasser gehängt, versucht er auf diese Weise an ein freies Abendbrot zu kommen. Am Hafenbecken, wo hölzerne Dhows, die traditionellen arabischen Segelboote liegen, werden drahtige Körbe für den Fischfang geflickt und Planken geschrubbt, wird Wäsche getrocknet, vor allem aber auf der Kaimauer gehockt und geschaut: jedes anlegende Dhow, jeder vorbeirauschende Katari im Sportboot ist eine willkommene Attraktion. An das ständige unverwandte Anstarren habe ich mich mittlerweile gewöhnt, so dass es kaum noch stört, wenn auch ich zu den Freitagnachmittagsattraktionen zähle. Im Restaurant "Perle von Beirut," das arabische und indische Küche verspricht, bekommen wir leckere philippinische Fischgerichte und alkoholfreies bayrisches Bier. Von irgendwoher dudelt ein Bollywoodlied, die Schatten werden lang und die arabische Nacht bricht an.

Fitness im Islam

Zwischen den fettigen Auslagen von McDonalds und Pizza Hut haben wir eine Brochüre mit dem Titel "Fitness im Islam" gefunden. Darin wird erklärt, dass selbst der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm,  nichts gegen sportliche Betätigung hatte: Jegliche Tätigkeit ohne den Gedanken an Allah sei allerdings entweder bloße Ablenkung, oder Nachlässigkeit, ausgenommen vier Arten von Aktivitäten: von einem Ziel zum nächsten gehen (beim Bogenschießen), ein Pferd trainieren, mit den Kindern spielen, und Schwimmen lernen. Bei diesem spärlichen Angebot erlaubter Sportarten wird man wohl das Diabetisproblem im Land so schnell nicht los. Die Zuckerkrankheit grassiert auch unter Kindern, mit denen es Mütter und Nannies zu gut meinen. Al Jazeera stellt in Aussicht, dass in zehn Jahren zwanzig Prozent der Bevölkerung erkrankt sein könnten, wenn man die derzeitige Lebensweise beibehält. Fasten und fette Feste, Fastfoodbegeisterung und religiös bedingter Bewegungsmangel vertragen sich halt nicht so gut. Besonders um die Eid-Zeiten sind Magenkrankheiten und Übergewicht in den Schlagzeilen.
Kein Problem mit Übergewicht haben die Tausenden zierlicher Arbeitsinder: in Scharen umstehen sie den Protein-Stand im Einkaufszentrum, wo ihnen ein philippinischer Meister Proper die Wirkungsweise von Anabolika erklärt. Die Inder machen große Augen und staunen wie Dorfkinder im Mittelalter über den Wunderheiler. Der Verkäufer bringt als lebendiger Beweis für die magische Wirkung seiner Mittelchen ungefähr so viel auf die Waage, wie drei von ihnen.

Wednesday, November 9, 2011

Herbsttag

Das Licht fällt härter dieser Tage; die Schatten werden lang und dürr. Das Kinderspiel in den Straßen wird müde, und Ruhe zieht ein in den Wohnkomplex. Einsam taumelt Bonbonpapier über die Parkflächen: der Herbst ist da.
Bei 21 Grad werden die dicken Parkas aus den Schränken geholt, ein Filipino fährt mit Pudelmütze Fahrrad. Gegen die kühle Luft hat er sich einen Wollschal umgebunden. Der Anblick ist so faszinierend, dass ich in meiner zögerlichen Kurve zum Stehen komme. Da fällt der ganze sorgfältig eingepackte Mann in Zeitlupe über mein Heck... Als ich die Tür öffne, sprechen wir simultan: er fragt nach meinem Auto, ich nach seiner Gesundheit. Letzterer kann das Wetter nichts mehr anhaben, wohl aber eine neugierige Frau am Steuer.

Gastarbeiter Westbay

Westbay Lagoon ist ein Nobelbezirk für reiche Ausländer, der sich, an den Rändern noch Baustelle, ständig ausweitet. Manchmal hat auch ein Privatdozent die Chance einen Blick hinter die hohen Mauern zu werfen: Erfürchtig betritt man, die Grammatiktabellen unter dem Arm, die geräumigen Hallen voller Antiquitäten aus Indonesien und Singapur. Das schwere Mobiliar in der Empfangshalle ist viel zu groß für unser Anfängerdeutsch, die Weihbecken und der lackierte Holzaltar passen nicht so recht zur kommunikativen Methode: Einkauf bei Bäcker Mosel. Marmorstufen führen zum Wasser der Bucht hinunter, privater Bootsanleger.Dimitrias Tagesablauf in der Perfektform: Heute hat sie ihr Fitnessprogramm vernachlässigt und stattdessen über japanische Kunst gelesen. Sie ist weißbehandschuht in ihren Ferrari-Kombi gestiegen und in die Stadt gefahren. Schließlich hat sie am Straßenrand neben der Baustelle Messegelände die Deutschlehrerin eingesammelt...

Tuesday, November 8, 2011

Nausha

Nausha ist auf den halsbrecherischen Straßen der Stadt zu Hause. Lässig lehnt er sich zurück und navigiert durch den Pendlerstrom wie ein erfahrener Seemann. Aus bescheidener Eitelkeit hat er ein künstliches Schafsfell auf das Armaturenbrett geklebt; das verleiht ihm eine ärmliche Noblesse, über die ich mich jedes Mal lustig mache. Wieder einmal hat uns der Zufall am Taxistand zusammengebracht; ich streiche über das struppige Fell und freue mich über den Möchtegern-Macho, der breit grinst, über mich, über sich selbst, und über das Begrüßungsritual. In der nächsten halben Stunde muss er mir so viel Hindi beibringen, wie möglich, denn mit Englisch und Arabisch stoßen wir schnell auf Grenzen, obwohl er stolz von sich behauptet: "Arabic, Enlish... no problem!"
Nausha lacht wie über einen guten Witz und erzählt von Kerala, wohin er alle paar Monate zurück zu seiner Familie reist. Nebenbei rammen wir beinahe fünf Fahrzeuge, an denen wir uns eng vorbeidrücken. Säße ich im Wagen nebenan, mir würde kurz das Herz stocken, aber von Naushas Frontscheibe aus sieht es noch haarsträubender aus: Mein Fahrer schlägt souveräne Breschen in den Verkehrsfluss und erzählt stolz, dass er noch nie einen Unfall hatte! Kleinlaut weise ich ihn auf den Wagen in der Nebenspur hin, als er im Begriff ist die Spur zu wechseln: "Kein Problem, alles unter Kontrolle!" - und wieder schaffen wir es wie durch ein Wunder unfallfrei aus dem Kreisverkehr.
Mitten im brüllenden Nachmittagsstau der Salwa Road sind wir am Ziel, und so schnell wir uns gefunden haben, so schnell verlieren wir uns wieder aus den Augen: "Tumjaate?" - "Amjaate."- Ich gehe, und weiß nicht, ob ich irgendwann wieder hinter Naushas Schafsfell zum Sitzen komme, oder ob der Straßenrebell dann schon längst wieder in Südindien ist. Die Fahrt kostet so viel, wie ich geben will; und Kerala soll ich besuchen, im Frühling!

Friday, November 4, 2011

Geisterstunde

Halloween ist hier eigentlich als Geisterbeschwörung und Verherrlichung westlicher Werte verpönt. Es passt auch nicht so recht zum beständigen Sonnenschein und den fehlenden Herbstnebeln. Nicht einmal die Amerikaner feiern Kostümparties, und glimmende Kürbisfratzen gibt es höchstens in den englischsprachigen Zeitschriften. An der amerikanischen Uni hat eine heimwehe Bibliotheksdame einen einsamen Kürbis in den Schaukasten gestellt. Trotzdem liegt so etwas wie Herbst in der Luft. Meine Deutschkinder nennen es "Weihnachtsduft" und sprechen davon, dass bald der erste Advent kommt.
Wahrscheinlich liegen in Deutschland bereits Schokoladenweihnachtsmänner und Marzipankartoffeln in den Auslagen; hier gehen wir erst einmal zum Schafe- und Kamele-Schlachten in den Eid al Adha, wo sich das Land für eine Woche leert. Wer kann, besucht seine Verwandten in Ägypten, Jordanien, Palästina. Aus den Zeitungen blicken der Emir und sein Kronprinz, umrahmt von Blumenranken: Carrefour wünscht ihnen gesegnete Feiertage, im Kleingedruckten wird auch die Bevölkerung beglückwünscht. Immer öfter sieht man Ziegenböcke mit geschwungenen Hörnern und zottigem Fell auf den Ladeflächen der Pickups und in den Kofferräumen der Kombis.
Ferienstimmung auch in der deutschen Schule: die Kinder fahren zum Wüstencamping und Dünenrodeln. Der Deutschunterricht wird zur Geisterstunde; wir sprechen über ein gruseliges Fest der Katholiken, das manchen deutschen Kindern einen freien Tag beschert: Allerheiligen. Angeblich werden da die Toten auf dem Friedhof besucht. Das macht Eindruck bei den Zwölfjährigen. Als die Tür knarrt und die Klimaanlage aussetzt, brüllt der dicke Stefan: "Ein Geist!!" und alles fängt an zu kreischen. Ich hätte nie gedacht, dass Wilhelm Hauff den Computerkids so viel Schrecken einjagen kann: Nachdem die Hexe im Zwerg Nase einen Menschenkopf aus ihrem Einkaufskorb zieht, ist die Klasse endgültig aus dem Häuschen.

Tuesday, November 1, 2011

Schwimmen lernen

Das Leben geht seinen Gang und wir gehen mit, atmen den Puls der Stadt, schwimmen mit den Wogen der Pendler morgens, mittags, abends. Hinter dunklen Brillen und automatisch versiegelten Scheiben treiben wir mit der Strömung wie in einer Wasserblase, Rockmusik in den Ohren, den Dunst der erwachenden Stadt im Blick. Immer ruhig Blut, und nicht ausweichen vor aggressiven Hausfrauenpanzern und zerstreuten Busfahrern in ihren zerbeulten Karosserien. Sich nicht einschüchtern lassen von dröhnenden Ferraris und Maseratis - lichthupend zurückzwinkern. Zwischen Schwertransportern im Kreisverkehr den Herzschlag zählen, höflich drängeln. Lass die Straßenkehrer dein Auto putzen, sei geduldig und übersehe nicht die Gärtner in den Palmen, Fahrräder mit Kartoffelsäcken auf dem Seitenstreifen, kreuzende Fußgänger, an die die Stadtplaner nicht gedacht haben.