Friday, November 4, 2011

Geisterstunde

Halloween ist hier eigentlich als Geisterbeschwörung und Verherrlichung westlicher Werte verpönt. Es passt auch nicht so recht zum beständigen Sonnenschein und den fehlenden Herbstnebeln. Nicht einmal die Amerikaner feiern Kostümparties, und glimmende Kürbisfratzen gibt es höchstens in den englischsprachigen Zeitschriften. An der amerikanischen Uni hat eine heimwehe Bibliotheksdame einen einsamen Kürbis in den Schaukasten gestellt. Trotzdem liegt so etwas wie Herbst in der Luft. Meine Deutschkinder nennen es "Weihnachtsduft" und sprechen davon, dass bald der erste Advent kommt.
Wahrscheinlich liegen in Deutschland bereits Schokoladenweihnachtsmänner und Marzipankartoffeln in den Auslagen; hier gehen wir erst einmal zum Schafe- und Kamele-Schlachten in den Eid al Adha, wo sich das Land für eine Woche leert. Wer kann, besucht seine Verwandten in Ägypten, Jordanien, Palästina. Aus den Zeitungen blicken der Emir und sein Kronprinz, umrahmt von Blumenranken: Carrefour wünscht ihnen gesegnete Feiertage, im Kleingedruckten wird auch die Bevölkerung beglückwünscht. Immer öfter sieht man Ziegenböcke mit geschwungenen Hörnern und zottigem Fell auf den Ladeflächen der Pickups und in den Kofferräumen der Kombis.
Ferienstimmung auch in der deutschen Schule: die Kinder fahren zum Wüstencamping und Dünenrodeln. Der Deutschunterricht wird zur Geisterstunde; wir sprechen über ein gruseliges Fest der Katholiken, das manchen deutschen Kindern einen freien Tag beschert: Allerheiligen. Angeblich werden da die Toten auf dem Friedhof besucht. Das macht Eindruck bei den Zwölfjährigen. Als die Tür knarrt und die Klimaanlage aussetzt, brüllt der dicke Stefan: "Ein Geist!!" und alles fängt an zu kreischen. Ich hätte nie gedacht, dass Wilhelm Hauff den Computerkids so viel Schrecken einjagen kann: Nachdem die Hexe im Zwerg Nase einen Menschenkopf aus ihrem Einkaufskorb zieht, ist die Klasse endgültig aus dem Häuschen.

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